Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
Morden gehört, die in Münster geschehen sind.«
»Ja, ich hab’s gelesen.«
»Alle Opfer haben seinerzeit der KPD/ML/O angehört. Genauer gesagt: jener Fraktion, die das Vermögen der Gruppe unter sich aufgeteilt hat.«
Der fusselige grau melierte Bart bebte. »Aber ich …«
»Sie haben mit dem Geld Ihre Werbeagentur aufgebaut.«
Er bekam einen bronchitischen Anfall. Dann begriff ich, dass es sich um ein Lachen handelte. »Aufgebaut ist gut. Vorgestern ist mein letzter Angestellter abgehauen. Er kriegt noch für zwei Monate Lohn. Die Werbeagentur ist am Ende. Keine Aufträge. Ich weiß nicht, wie … und woher …«
»Das interessiert den Mörder womöglich nicht.«
»Welchen Mörder?« Er öffnete ein Schreibtischfach und holte eine Flasche Weinbrand und ein Glas heraus. Seine Bewegungen waren jetzt schneller geworden. »Wollen Sie auch einen?«
»Nein, danke.«
Das Glas füllte sich randvoll. Er kippte es zur Hälfte. »Ich hab doch damit nichts zu tun.«
»Womit?«
»Ich meine …« Die zweite Hälfte verschwand in seinem Hals. »Ah! Ich bin doch kein Politiker.«
»Das ist die spannende Frage, Herr Meier: Hat es der Mörder auf Politiker abgesehen? Oder auf jene Mitglieder der Gruppe, die sich das Geld in die eigene Tasche gesteckt haben?«
Er schnaufte. »Hören Sie mal! Sie machen mir Angst.«
»Die sollten Sie vielleicht haben. Wenn Ihnen an Ihrem Leben etwas liegt.«
Er glotzte mich an. »Scheiße.«
»Herr Meier, haben Sie in letzter Zeit etwas Verdächtiges bemerkt? Ist Ihnen jemand gefolgt? Haben Sie merkwürdige Anrufe erhalten?«
Er dachte lange nach. »Ja, da war was.«
»Was war da?«, hakte ich geduldig nach.
»Ein Anruf. Vor einer Woche etwa. Der Typ sagte: ›Ich habe nicht vergessen.‹«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Dann hat er aufgelegt. Ich hab’s mir gemerkt, weil es irgendwie schräg klang: Ich habe nicht vergessen.«
»Haben Sie seine Stimme erkannt?«
»Nee. Ging ja alles viel zu schnell.«
»Das war er«, stellte ich fest. »Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, Herr Meier, aber auch Martin Hennekamp und Dirk Holthausen haben kurz vor ihrem Tod solche Anrufe erhalten.«
Seine blutunterlaufenen Augen begannen feucht zu schimmern. Er verdeckte sie mit dem Handrücken und schniefte. »Warum immer ich? Das ganze Geld ist weg. Die Bank hat das Konto gesperrt. Meine Frau verklagt mich. Ich bin ein Versager. Das sagen sie alle.« Der Rotz lief ihm über das Gesicht. »Und jetzt auch noch …«
»Herr Meier«, sagte ich vorsichtig. Ich hatte einen schweren Gewissenskonflikt zu seinen Gunsten entschieden. Gegen die Interessen einer Klientin zu handeln, verstieß nicht nur gegen die Berufsprinzipien, sondern widersprach auch meinem persönlichen Moralkodex. Aber andererseits konnte ich diesen Menschen nicht in sein Unglück stolpern lassen.
»Was soll ich bloß machen?«
Ich unterdrückte den Wunsch, ihm ein Taschentuch zu reichen. »Herr Meier, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Gehen Sie zur Polizei! Erzählen Sie denen die alte Geschichte! Sagen Sie, dass Ihr Leben in Gefahr ist! Fordern Sie Polizeischutz! Und wenn man Ihnen in Warendorf nicht glaubt, wenden Sie sich an Hauptkommissar Stürzenbecher im Polizeipräsidium Münster. Der kennt die Zusammenhänge.«
Er wischte sich den Rotz von der Lippe und goss Schnaps auf den Schreibtisch. Eine kleine Pfütze landete auch im Glas. »Können Sie nicht mitkommen?«
»Das geht leider nicht. Wie gesagt, ich arbeite für Jutta Rausch. Und die möchte nicht, dass die alte Geschichte ruchbar wird.« Ich stand auf. »Ich muss jetzt gehen, Herr Meier. Es wäre vernünftig, wenn Sie die Tür hinter mir abschließen würden.«
Abgesehen von einem Tankstopp bei Telgte kehrte ich ohne Umschweife zurück in die ehemalige Provinzialhauptstadt. Nur widerwillig hatte das katholische Münster seine Rolle als westfälischer Schreibtisch des alten Erzfeindes Preußen akzeptiert. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Art Frieden mit dem lutherischen Monarchen. Und im Überschwang patriotischer Gefühle benannte sich der renommierteste Fußballklub nach dem ganzen Land. Noch heute schwärmten die alten Preußen-Anhänger von dem Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft 1951, das der SC Preußen 06 denkbar knapp gegen die roten Teufel aus Kaiserslautern verloren hatte. Im Gründungsjahr der Bundesliga gehörten die Preußen zum letzten Mal dem Oberhaus des deutschen Fußballs an, von da an ging es stetig
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