Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
Sie nicht schon mal zusammen erwischt? Richtig, in der Herrentoilette von Global World .«
Er schob die Oberlippe hoch und entblößte zwei Mausezähnchen. »Na und?«
»Wenn ich richtig informiert bin, schwimmen die Stadtkämmerin und der Fraktionsvorsitzende nicht unbedingt auf einer Wellenlänge.«
»Und wenn ich richtig informiert bin, werden Sie nicht dafür bezahlt, dumme Fragen zu stellen. Die Stadtkämmerin sitzt da drin.« Er streckte einen dürren Zeigefinger aus.
»Danke, Axel. Das hätte ich fast vergessen. War nett, mit Ihnen zu plaudern.«
»Verpiss dich!«, zischte er, als ich drei Schritte entfernt war und er darauf vertraute, dass ich mich nicht mehr umdrehen würde.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende, ein Mann, der gerade dem Junge-Union-Alter entwachsen war und dem man Ambitionen auf das nächste frei werdende Landtags- oder Bundestagsmandat nachsagte, bot soeben der SPD eine große Koalition an: »Und deshalb rufe ich Ihnen zu: Schließen Sie mit uns ein Bündnis für die Zukunft Münsters! Verlassen Sie die Negativgemeinschaft mit den Grünen, die sich heute wieder einmal als unsichere Kantonisten erwiesen haben. Diese Grünen sind doch stolz darauf, wenn sie Arbeits- und Parkplätze vernichten können. Münster muss eine lebendige Stadt bleiben, die von allen Seiten mit dem Auto zu erreichen ist. Wollen Sie die oberzentrale Funktion Münsters erhalten und ausbauen? Oder wollen Sie, dass auf dem Prinzipalmarkt Windmühlen gebaut werden?«
Es dauerte eine Minute, bis die Oberbürgermeisterin mithilfe ihrer Glocke und etlichen Ordnungsrufen für Ruhe gesorgt hatte.
»Heute«, fuhr der CDU-Mann fort, »werden wir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, noch einmal aus der Patsche helfen. Wir werden mit Ihnen für das Kappenstein-Projekt stimmen, für eine fantasievolle, bunte, zukunftsweisende Global World im Norden Münsters. Aber vertrauen Sie nicht darauf, dass wir uns auch beim nächsten Mal als Feuerwehrmänner zur Verfügung stellen, wenn Ihr Koalitionspartner Sie im Regen stehen lässt. Personalentscheidungen mit den Grünen, Sachentscheidungen mit der CDU, dieses Spielchen machen wir nicht mit. Bekennen Sie sich zu einer starken Koalition, zu einer Koalition unter der Führung der CDU!«
Natürlich wies der SPD-Fraktionsvorsitzende das Ansinnen zurück, allerdings fielen seine rhetorischen Floskeln reichlich halbherzig aus. Anschließend wogte die Diskussion mit gegenseitigen Vorwürfen noch eine halbe Stunde hin und her. Dann kam es zur Abstimmung. Die CDU-Fraktion stimmte mit Ausnahme des Kappensteiner Abgeordneten für die Verwaltungsvorlage, bei der SPD gab es fünf Abweichler, die mit Nein stimmten, die Grünen votierten geschlossen dagegen. Das Kappenstein-Projekt konnte in die Planungsphase eintreten.
Den Zuschauern, die auf der Empore saßen, gefiel das ganz und gar nicht. Offensichtlich hatte die Bürgerinitiative Kein Hollywood in Kappenstein! eine starke Abordnung ins münstersche Rathaus entsandt, die jetzt frenetisch buhte und ihr bekanntes Transparent entrollte. Einer der beiden ältlichen Saaldiener verrenkte sich bei dem Versuch, das Transparent zu ergattern, den Knöchel, der andere geriet in Panik, als er von einigen Kappensteinern umringt wurde. So musste zu guter Letzt die Einsatzhundertschaft der münsterschen Polizei aufmarschieren, die für solche Fälle im Ratskeller bereitsteht.
Meine Hoffnung, dass mit dem Auftritt der gummiknüppelschwingenden Saalräumer auch die Sitzung beendet war, erwies sich jedoch als trügerisch. Ungerührt rief die Oberbürgermeisterin den nächsten Punkt auf. Die Fernsehkamera war längst abgebaut, die Fotografen verschwunden, da quälten sich die Ratsfrauen und -herren immer noch durch Bebauungspläne und die Änderung der Friedhofssatzung. Gähnend registrierte ich, dass abends um zehn in einem Stadtparlament die Demokratie noch in Ordnung war. Oder handelte es sich um eine besondere Form von Masochismus, sich so etwas für ein paar Mark Aufwandsentschädigung anzutun?
Irgendwann war tatsächlich der allerletzte Punkt abgehakt, und ich schlenderte zu der Kämmerin hinüber, die sich mit dem smarten Axel unterhielt.
Feldhaus schoss einen Giftpfeil auf mich ab, und auch Jutta guckte nicht pflegeleicht.
»… ein paar Monate Schamfrist«, hörte ich sie sagen, »dann laufen sie mit fliegenden Fahnen zur CDU über.«
»Um wen geht’s?«, fragte ich.
»Hast du nicht mitgekriegt, was hier heute abgelaufen
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