Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
staubige Leere.
Der Schreibtisch im Wohnzimmer lieferte zumindest eine Bestätigung für Tamaras Testanruf. Auf ihm lagen Kopien von KPD/ML/O-Materialien: Flugblätter, Direktiven des Politbüros, Protokolle von Sitzungen, Mitgliederlisten. Einige Blätter, die handschriftliche Anmerkungen enthielten, steckte ich ein. Dann grub ich in den Schubläden, Aktenschränken und Kommoden, fegte die Bücher aus den Regalen und nahm die Möbel auseinander. Doch das, was ich am dringendsten suchte, Latexhandschuhe und ein Töpfchen mit Goldfarbe, fand ich nicht.
Die beiden Polizisten im Vorzimmer der Kämmerin musterten mich fachmännisch. Frau Hanewinkel war über den Beziehungsstress zwischen Jutta und mir bereits auf dem Laufenden: »Frau Rausch hat wenig Zeit. Ich glaube nicht, dass sie Sie empfangen will.«
»Sagen Sie ihr, ich hätte Neuigkeiten!«
Jutta trug heute ein gedecktes Grau, das gut zu der Zornesröte in ihrem Gesicht passte. »Du willst Geld, stimmt’s? Hast du die Rechnung aufgestellt?«
»Noch nicht.« Ich setzte mich auf den Besuchersessel. »Ich habe einen deiner Aufträge ausgeführt. Du wolltest doch wissen, wer dich bei den Münsterschen Nachrichten verpetzt hat. Es war dein allerliebster Referent, Axel Feldhaus.«
»Beweise?«
»Erstens ein Kontrollanruf. Und zweitens habe ich das hier in seiner Wohnung gefunden.« Ich reichte ihr die Kopien, die ich eingesteckt hatte.
Jutta erkannte sofort ihre Bedeutung. »Tatsächlich. Das ist Axels Handschrift. Dieses Arschloch! Wie bist du in seine Wohnung gekommen?«
»Betriebsgeheimnis.«
»Du bist eingebrochen.«
»Ich glaube nicht, dass Axel Anzeige erstatten wird. Das Diebesgut ist für ihn höchst kompromittierend.«
Jutta griff zum Telefon. »Er kann sich seine Papiere abholen.«
»Warte mal!«, stoppte ich sie. »Ich möchte dir eine neue Theorie erläutern.«
»Ich habe einen Termin bei der Industrie- und Handelskammer.«
»Sag ihn ab!«
Jutta beauftragte Frau Hanewinkel, dem Geschäftsführer der IHK mitzuteilen, sie sei leider kurzfristig erkrankt.
»Die Theorie ist etwas gewagt«, begann ich. »Da gibt es einen jungen Mann, der unsterblich in eine ältere Frau verliebt ist. Die Frau erhört ihn, allerdings nur kurzfristig. Dann stößt sie ihn zurück. Der junge Mann bleibt in der Nähe der Frau, steigt mit ihr die politische Leiter hinauf. Allmählich wandelt sich seine Liebe in Hass. Er fühlt sich ausgenutzt. Er sinnt auf Rache. Er schmiedet Mordpläne. Doch er ist auch ein cleverer junger Mann, der nicht gern die nächsten zwanzig Jahre seines Lebens im Gefängnis verbringen möchte. Da stößt er durch Zufall auf die unrühmliche Vergangenheit der Frau. Plötzlich sieht er die Gelegenheit, seinen teuflischen Plan umzusetzen. Er bringt zwei, drei, vier Menschen um. Die Spuren weisen zuerst auf politische Racheakte hin. Dann sorgt der junge Mann dafür, dass die Vergangenheit der Frau bekannt wird. Niemand, so hofft er, wird darauf kommen, dass der fünfte Mord, der Mord an der Exgeliebten, der eigentliche Zweck des Ganzen ist. Wo kann man einen Mord aus Eifersucht besser verstecken, als in einer Mordserie, die scheinbar von einem durchgeknallten Psychopathen verübt wird?«
Jutta dachte eine Weile nach. »Klingt etwas konstruiert«, sagte sie schließlich. »Ziemlich viel Aufwand, um eine ältere Frau zu beseitigen, die nicht sonderlich attraktiv ist.«
»Wer sagt, dass du nicht attraktiv bist?«
»Ach, komm schon, Georg! Wenn mich Axel hätte umbringen wollen, hätte er dazu früher günstigere Gelegenheiten gehabt.«
»Und was ist mit dem Material, das er über dich gesammelt hat?«
»Fragen wir ihn doch selbst.« Sie griff erneut zum Telefon.
Das Gesicht des Referenten verdüsterte sich, als er mich erblickte. »Ich dachte, der kommt nicht mehr.«
»Etwas mehr Höflichkeit, wenn ich bitten darf«, wies ihn Jutta zurecht.
Ein höhnisches Grinsen blitzte auf. »Verstehe. Ihr habt euch wieder versöhnt.«
Die Kämmerin ging nicht darauf ein. »Was sagt dir der Name KPD/ML/O?«
Er spielte den Unwissenden. »Ist das eine südamerikanische Befreiungsbewegung?«
»Du weißt von nichts?«
»Nein«, beharrte er.
»Und was ist das hier?« Sie zeigte ihm die Kopien mit seinen handschriftlichen Anmerkungen.
Die Keule traf ihn unvorbereitet. Feldhaus taumelte zwei Schritte zurück und stieß gegen die Tischkante. Sein Kopf pendelte hin und her.
» Er war das«, würgte er hervor. »Wilsberg hat sich von Anfang an zwischen uns
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