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Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Titel: Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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ereignen, waren sechs vergeudete Stunden der Preis, den mich mein Hochmut kostete.
    Im Radio lief eine Sendung über Ballonfahrer im Münsterland. Das Münsterland war berühmt für seine Ballonfahrer. Kaum ein Wochenende im Sommer, an dem nicht die knallbunten Heißluftballons am Himmel hingen. Ballonfahrer berichteten von ihren Erlebnissen mit Hochspannungsleitungen und wütenden Stieren. Auch die Gretchenfrage wurde angesprochen, wieso man diese Art von höhenkollererregender Fliegerei als Fahren bezeichnete. Wie vorauszusehen, gab es darauf keine vernünftige Antwort. Es hatte irgendwas mit Tradition und Nostalgie zu tun. Die ersten Zeppeline waren ebenfalls gefahren und nicht geflogen.
    Ich rieb mir die Augen. In der letzten halben Stunde hatten sich drei Menschen über die gepflasterten Fußwege des Stiftes bewegt. Ein leichter Nieselregen setzte ein. Ich steckte mir einen Zigarillo an und blies den Rauch zum Fenster hinaus. Dann hörte ich ein Motorgeräusch. Ein Auto näherte sich der Straße. Fluchend riss ich das Fernglas an die Augen. Auf dem Beifahrersitz, neben dem hochgewachsenen Jüngling, saß Lars Merten.
    Sie fuhren Richtung Innenstadt. Da es bereits dämmerte, ließ ich Abstand Abstand sein und klemmte mich dicht hinter ihre Rücklichter.
    Der Zivi parkte auf der großen Freifläche vor dem Schloss. Zusammen mit Merten nahm er die Fußgängerunterquerung, die unter der vierspurigen Straße hindurchführte. Auf der anderen Straßenseite begann das Universitätsviertel. Gruppen von Studenten und mit Taschen bepackte Einkäufer machten die Verfolgung einfacher. Seit der größten Reform der liberalkonservativen Regierung, der Änderung des Ladenschlussgesetzes, hatte sich das Aussterben der Innenstadt auf zwanzig Uhr verschoben.
    Die beiden stiegen zum Dom hinauf und überquerten den Domplatz. Leider war ich zu weit entfernt, um mitzubekommen, worüber sie sich angeregt unterhielten. Am Eingang zum Prinzipalmarkt blieb Merten stehen. Er griff in die Hosentasche und drückte das, was er dort fand, dem Zivi in die Hand. Nach meiner Beobachtung vom Mittag war ich sicher, dass es sich um Porträts berühmter Deutscher handelte. Der Zivi winkte Merten zu und verschwand hinter der rechten Häuserecke.
    Merten wandte sich nach links. Dreihundert Meter Luftlinie oder zehn Minuten Fußweg entfernt befand sich die Wohnung der Kämmerin.
    »Hallo Lars!« Ich hatte einen kleinen Umweg gemacht und mich hinter der Säule eines Kaufhauses versteckt.
    Seine Selbstbeherrschung war bemerkenswert. Er schrak nicht zusammen, sein Blick blieb ratlos. Nur ein Anflug von Ärger huschte über das Gesicht. »Ich kenne Sie nicht.«
    »Ich habe dich vor zwei Tagen im Stift Kerßenbrock besucht.«
    »Sie müssen mich verwechseln.« Er ging weiter.
    Ich holte ihn ein. »Deine Amnesienummer ist wirklich bühnenreif. Wenn sogar Ärzte und Pfleger darauf hereinfallen. Die perfekte Tarnung für einen Mörder.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, brummte er. »Lassen Sie mich in Ruhe!«
    »Sonst rufst du die Polizei? Dann musst du denen aber erklären, wieso du hier allein herumläufst, obwohl du nach Meinung von Doktor Liesenkötter dazu gar nicht in der Lage bist.«
    Er blieb stehen. »Noch einmal: Ich bin nicht der, für den Sie mich halten.«
    »Doch. Der bist du. Ich bin dir vom Stift Kerßenbrock aus gefolgt.«
    Die Augen erloschen, das Gesicht wurde kraftlos. Er hatte seine Niederlage akzeptiert. »Du hast recht«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Ich bin Lars Merten. Was willst du?«
    »Warum hast du vier Menschen getötet?«
    »Sie hatten es nicht anders verdient.«
    »Niemand hat den Tod verdient.«
    »Das ist humanistisches Gerede«, sagte er sachlich. »Wer die Idee der Revolution verrät, muss die Konsequenzen tragen. Auch Mao ist während der Kulturrevolution mit seinen Gegnern nicht zimperlich umgesprungen. Und Lenin hat gesagt …«
    »Schau dich doch mal um!«, forderte ich ihn auf. »Wir leben nicht mehr im Jahr 1977. Die Welt hat sich verändert. Es gibt keine Revolutionäre mehr. Nicht einmal die Idee einer Revolution.«
    Er schaute sich tatsächlich um. »Ich weiß. Vor einigen Monaten begann ich zu begreifen, was geschehen ist. Die Revisionisten in Moskau haben kapituliert, in Peking hat der Rechtsabweichler Deng Xiaoping die Macht übernommen, der Kapitalismus hat auf der ganzen Linie gesiegt.« Er fasste sich an die Stirn. »Vom Gegner habe ich nichts anderes erwartet. Aber dass meine Genossen zum

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