Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
nächste Satz war an die hinter ihm sitzenden Untergebenen gerichtet. »Er glaubt tatsächlich, dass wir ihn freilassen.«
Einige Polizisten wackelten pflichtschuldig mit den Köpfen.
»Ja«, sagte ich gelassen. »Weil Sie genau wissen, dass Sie mir keinen Mord anhängen können.«
»Herr Wilsberg!« Nach den Drohungen kam die väterliche Masche. »Wir haben es mit vier schrecklichen Morden zu tun. Morde, die alle Merkmale eines psychopathischen Verbrechens aufweisen. Derjenige, der das getan hat, ist krank.« Er schaute mich erwartungsvoll an. Ich ihn auch.
»Eine normale Gefängnisstrafe kommt in solchen Fällen nicht infrage«, troff es salbungsvoll aus ihm heraus. »Sie müssen nicht mit gewöhnlichen Verbrechern in einer Zelle sitzen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie in eine schöne Klinik kommen.«
Ich lachte. »Soll das ein Angebot sein?«
»Es ist mein voller Ernst.«
»Es stimmt«, sagte ich. »Ich bin krank.«
Seine Augen leuchteten triumphierend.
»Allerdings nicht geisteskrank. Ich habe Neurodermitis.«
Das Leuchten erlosch.
»Und wenn ich nicht bald meine Medikamente bekomme«, setzte ich nach, »haben Sie eine Menge Ärger am Hals.«
Hilfe suchend wandte er sich nach hinten: »Neurodingsbums, ist das gefährlich?«
Stürzenbecher räusperte sich. »Kommt darauf an.«
»Und warum sagt mir das keiner?«
Stürzenbecher kam nach vorn und tuschelte mit seinem Chef. Kurz darauf hatten Stürzenbecher und ich das Vernehmungszimmer für uns allein.
Augenzwinkernd formulierte der Hauptkommissar für das installierte Mikrofon: »Ich bringe Sie jetzt in die Zelle. Dann können Sie Ihre Medikamente nehmen.«
Wir schwiegen, bis Stürzenbecher die Zellentür von innen geschlossen hatte.
»Nett, dass du mich von dieser Nervensäge erlöst hast«, bedankte ich mich.
»Gern geschehen. Und nun reden wir mal Tacheles, Wilsberg! Was ist damals in der KPD/ML/O vorgefallen?«
»KPD/ML/O? Klingt wie ein nordkoreanischer Gesangsverein.«
»Verscheißer mich nicht, Wilsberg! Ich kann Zeitung lesen. Und du glaubst doch wohl nicht, dass ich für dich diesen Lars Merten ausfindig mache, ohne eigene Erkundungen anzustellen. Und siehe da: Merten hat zur selben Zeit an der Uni Münster studiert wie Dietzelbach, Hennekamp, Holthausen und – Jutta Rausch. Punkt eins. Punkt zwei: Nachdem ich die kryptische Andeutung in den Münsterschen Nachrichten gelesen habe, besuche ich meine Kollegen im ehemaligen Politischen Kommissariat. Die haben eine Menge Archivmaterial gesammelt: Ermittlungen wegen verbotener Büchertische, Verunglimpfung des Staates und seiner Organe, Flugblätter, Fotos von Demos. Und – du ahnst vielleicht, wen ich da unter dem Transparent der KPD/ML/O über die Salzstraße marschieren sehe?«
Ich nickte.
»Sie waren alle Mitglieder der KPD/ML/O«, redete sich Stürzenbecher in Fahrt. »Und ich würde eine Clara Schumann darauf verwetten, dass auch Ulf Meier dem Verein angehörte.«
Da ich mein Schweigegelübde bereits einmal gebrochen hatte, kam es auf ein zweites Mal auch nicht mehr an. Ich erzählte Stürzenbecher die ganze Geschichte.
Als ich geendet hatte, blieb er stumm sitzen, den Kopf auf die Hand gestützt.
»Wenn ich dich richtig verstehe«, sagte er schließlich, »haben wir drei Verdächtige: die Psychotherapeutin, den Geisteskranken und den Fraktionsvorsitzenden.«
»Das ist das Problem«, gab ich zu. »Katja Imhoff traue ich die Morde am wenigsten zu, Lars Merten ist nicht in der Lage, einen Mord zu planen, und welches Motiv sollte Heiner Kleine-Langen haben, seine ehemaligen Genossen zu eliminieren?« Inzwischen hatte ich eine neue Idee, aber die erschien mir so abwegig, dass ich mich vor Stürzenbecher damit nicht lächerlich machen wollte.
»Haben wir den Mörder, haben wir auch das Motiv.« Der Hauptkommissar stand auf. »Ich denke, wir werden uns zuerst den Fraktionsvorsitzenden vorknöpfen.« Er ging zur Tür. »Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Eine Bitte habe ich noch«, hielt ich ihn auf. »Stell Jutta Rausch und Conny Guttweller unter Polizeischutz! Ich möchte nicht, dass noch jemand stirbt. So wie es aussieht, komme ich hier in den nächsten Tagen wohl nicht heraus?«
Stürzenbecher grinste. »Da kannst du einen drauf lassen. Du bist Lewandowskis große Hoffnung.« Er zögerte. »Oder fällt dir etwas ein, das dich entlastet? Hast du vielleicht auf dem Weg von Warendorf nach Münster einen Anhalter mitgenommen?«
»Nein. Aber ich habe getankt. In
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