Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
schon lange darauf gewartet.
Und auch die beiden Friedhofsgärtner gruben mit stoischer Ruhe weiter; ob sie dabei verächtliche Gedanken über verweichlichte Stadtmenschen hegten, war ihnen nicht anzusehen. Immerhin trugen sie graue, unförmige Filzhüte, die sie gegen Sonne, Kälte, Regen oder was auch immer an Wetter geboten wurde, schützten.
Stürzenbecher hatte die komplizierte rechtliche Prozedur, die für eine Exhumierung notwendig war, durch einen einfachen Trick umgangen. Da Ernst Westhues noch keine sieben Tage unter der Erde lag, hatte er den Chef der Friedhofsverwaltung überredet, Nachbesserungen der Grabarbeiten vorzunehmen. Diese Nachbesserungen bestanden darin, das gesamte Erdreich über dem Sarg noch einmal auszuheben. Der Sarg selbst sollte, falls er unversehrt war, nicht geöffnet werden. Schließlich interessierte uns nicht der verblichene Westhues, sondern eventuelle zusätzliche Knochen.
Der Regen ließ etwas nach und der Hauptkommissar nahm den Gesprächsfaden auf, den unsere Flucht unterbrochen hatte. »Falls es sich bei dem Toten tatsächlich um einen Landstreicher handelt, der vor sechs bis acht Jahren in Disselburg oder Umgebung gehaust hat, wird es echt schwierig. Solche Leute pflegen sich nicht anzumelden und oft haben sie nicht einmal Verwandte oder Freunde, die sie vermissen. Jedenfalls liegt keine Vermisstenanzeige vor, die auf unseren Mann passen könnte.«
»Aber wer bringt so jemanden denn um?«, fragte Franka.
Stürzenbecher schnaufte. »Je tiefer das soziale Niveau, desto niedriger die Beweggründe. Penner bringen sich manchmal wegen einer Flasche billigen Fusel um. Besonders im Suff. Ein echter Mord ist das in den seltensten Fällen. Totschlag im Affekt und verminderte Zurechnungsfähigkeit. Dafür kriegen sie fünf Jahre, von denen sie dreieinhalb auf der linken Arschbacke absitzen.«
»Für einen betrunkenen Penner sah die Mauer im Schlosskeller erstaunlich gerade aus«, warf ich ein.
Stürzenbecher fixierte mich mit wässrigen, leicht blutunterlaufenen Augen. Anscheinend hatte er am Vorabend bereits das Nachtleben von Disselburg erkundet.
»Ich sage ja nicht, dass es so gewesen ist, ich sprach allgemein über Gewaltdelikte im Milieu. Über den oder die Täter im aktuellen Fall weiß ich so gut wie gar nichts. Allenfalls könnte man annehmen, dass sie technisch begabt sind. Allerdings nur, wenn man die gewagte Hypothese unterstellt, dass sie auch für die Manipulation deines Wagen verantwortlich sind.«
»Was?«, fuhr ich auf.
Der Hauptkommissar schaute zu den Friedhofsgärtnern, die ihre Grabungsaktion eingestellt hatten und aufmerksam nach unten blickten. »Ja. Jemand hat an der Lenkung herumgefummelt, sodass sie bei der ersten, heftigeren Bewegung ihren Geist aufgeben musste. Sei froh, dass du nicht aus Blödheit in den Graben gefahren bist.«
»Und warum sagst du das erst jetzt?«
»Weil es mir gerade wieder eingefallen ist. Du hast nicht zufällig jemanden in Verdacht?«
Ich dachte an Max Mehrings Worte über das Unglück, das drohen könne, falls ich mich weiter mit der Leiche beschäftigen würde, schüttelte jedoch den Kopf.
Einer der Gärtner hielt jetzt einen braunen Sack in die Höhe und machte durch Rufe auf sich aufmerksam. Da er offenbar nicht zu uns kommen wollte, mussten wir uns durch den Regen zu ihm bequemen.
Stürzenbecher streifte seine Einweg-Plastikhandschuhe über und öffnete den Leinensack. Im Inneren befand sich eine Sammlung gut erhaltener Knochen.
»Hab ich's nicht gesagt?«, triumphierte Franka.
Stürzenbecher nahm mir die peinliche Pflicht ab, sie loben zu müssen. Für meinen Geschmack übertrieb er sogar die Betonung ihrer Scharfsinnigkeit. Sie hatte eben zweimal Glück gehabt, etwas, was zum Beruf des Detektivs dazugehört.
Anschließend machte sich der Hauptkommissar auf den Weg zur Disselburger Polizeistation, um das neue Beweismaterial nach Münster schaffen zu lassen, und auch Franka und ich überließen die Toten ihrer ewigen Ruhe.
Als wir die Friedhofsmauer erreichten, klingelte Frankas Handy, das unversehrt geblieben war, weil sie es vor unserem Tauchunternehmen im Hotel vergessen hatte. Franka hörte zu und reichte mir dann wortlos das Gerät.
»Ich bin's, Christine«, hörte ich eine allzu bekannte Stimme. »Ich mache mir Sorgen um Max.«
»Woher hast du die Nummer?«, fragte ich misstrauisch.
»Das spielt doch jetzt keine Rolle. Ich versuche seit zwei Tagen, Max zu erreichen, und Hartmann weiß auch nicht, wo er
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