Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
wie könnte, deiner Vermutung nach, der zweite Landstreicher aussehen?«
»Wie gesagt ...«
»Ja, ja«, drängte Stürzenbecher. »Unter dem Vorbehalt, dass es nur eine Vermutung ist.«
»Er wäre heute etwa fünfzig Jahre alt, klein, untersetzt und alkoholsüchtig.«
»Wie etwa vier Fünftel aller Landstreicher. Hat dein Mann auch einen Namen?«
»Keinen echten.«
»Das gibt nicht viel her, Wilsberg«, maulte der Hauptkommissar. »Für eine Fahndung reicht das nicht.«
»Und für eine lockere Kontrolle aller Obdachlosenheime im Münsterland? Möglicherweise ist unser Mann in der Gegend geblieben.«
»Viele von denen mögen keine Heime. Die schlafen lieber unter freiem Himmel.«
»Das wäre der zweite Schritt.«
»Hör mal! Ich kann nicht wegen einer Eingebung, die dich überkommen hat, den ganzen Polizeiapparat in Bewegung setzen.«
»War ja nur ein Vorschlag.«
»Okay. Ich werde darüber nachdenken.«
Ich legte mich aufs Bett und dachte eine Weile nach. Als ich zu einem Entschluss gekommen war, zog ich mich an und machte mich auf den Weg. Unterwegs klopfte ich an Frankas Zimmer. Sie war anscheinend immer noch im Schwimmbad, in der Sauna, im Fitnessraum oder einer der anderen Vergnügungsstätten, die das Hotel für selbstquälerische Attacken der Körperkultur zur Verfügung stellte.
Anke Schwelms Möbelladen war schon geschlossen. Dafür fand ich neben einer der Klingeln, die zu den Wohnungen über dem Laden gehörten, ihren Namen.
Sie erwartete mich in der Tür. Ihr rundes, sonst stets zum Lächeln bereites Gesicht wirkte schlaff und deprimiert.
»Sie haben es gehört ...«, begann ich.
Sie nickte. »Ja. Kommen Sie herein! Es ist schrecklich. So ein vollkommen sinnloser Tod.«
Die Wohnungseinrichtung war überwiegend aus dem gleichen Holz, das sie auch in ihrem Laden verkaufte, die Formgebung dagegen etwas extravaganter.
Sie bemerkte meinen Blick. »Gelegentlich experimentiere ich ganz gerne. Das sind dann die Sachen, die in meiner Wohnung landen, weil sie niemand kaufen will.« Sie machte eine einladende Handbewegung. »Ich habe mir Spaghetti gekocht. Möchten Sie mitessen?«
»Nein, danke.«
»Ich würde mich freuen.«
»Gut. Dann nehme ich ein paar Gabeln.«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Es ist nichts Besonderes. Nur eine Sahnesoße mit Kapern.«
Die Spaghetti schmeckten ausgezeichnet und ich musste mich zurückhalten, um ihr nicht den größten Teil wegzuessen.
Während des Essens sprachen wir über Max Mehring. Anke Schwelm meinte, dass er in letzter Zeit einen nervösen, fast gehetzten Eindruck gemacht habe. Sie habe es für eine Sinnkrise gehalten, weil er mit seiner Arbeit beim Wochenblatt und dem Leben in Disselburg unzufrieden gewesen sei, aber nicht geahnt, dass er Selbstmordabsichten hegte. »Sonst hätte ich ihn neulich nicht so angeraunzt, Sie wissen schon, bei der Gemeinderatssitzung.«
Ich nickte.
Sie schob ihren Teller, der noch halb gefüllt war, zur Seite. »Ich habe keinen großen Hunger. Aber einen Espresso könnte ich jetzt vertragen, mit einem Schuss Grappa. Nehmen Sie auch einen?«
»Nur Espresso, ohne Grappa.«
Die Grafentochter präparierte eine kleine Espressokanne und einige Minuten später nippte ich an dem gesüßten Kaffeeextrakt.
»Lag es wirklich nur an seiner Arbeit und der Langeweile in Disselburg?«
Anke blinzelte. »Was meinen Sie?«
»Ich bin da auf eine alte Geschichte gestoßen. Die Geschichte von drei Jugendlichen, die stets zusammen waren, aber nicht zueinanderkommen konnten.«
Ihr Kopf fuhr hoch. »Wer hat Ihnen davon erzählt?«
»Tut mir leid, meine Informanten kann ich nicht preisgeben. Sie waren in Alex van Luyden verliebt, nicht wahr?«
Sie nickte widerwillig. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass er schwul war. In einer Kleinstadt spricht man nicht über so was. Falls man überhaupt weiß, was Homosexualität ist.«
»Und Max war in Sie verliebt.«
»Das war er, aber ich hatte nur Augen für Alex. Alex' Zuneigung für mich war echt, ich dachte, er wäre zu schüchtern, um den entscheidenden Schritt zu tun. Also habe ich immer wieder versucht, ihn zu verführen.« Sie lächelte bitter. »Was für ein Witz.«
»Denn Alex war in Max verliebt.«
»Möglicherweise. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Auf eine kleine Episode, die sich vor sieben oder acht Jahren abgespielt hat. Max, Alex und Sie sind damals zwei Landstreichern im Wald begegnet. Erinnern Sie sich?«
Ihre Mundwinkel rutschten nach unten.
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