Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
Kellerfenster gemein hatten. Natürlich hätte ich jetzt einfach die Polizei anrufen können. Aber gelegentlich, vor allem in der Nähe einer schönen Frau, packte auch mich das Bedürfnis, mutig zu wirken. Ich wischte die schweißfeuchte Hand an der Hose ab und umfasste den Schraubenschlüssel fester. Dann öffnete ich mit der linken Hand die Tür.
Auf der anderen Seite des Raumes wühlte ein Mann in einer großen Kiste. Der Mann richtete sich auf. Er war etwa Mitte dreißig, schlank, bebrillt und sah nicht aus wie ein gewöhnlicher Einbrecher, eher wie ein Einbrecher mit akademischem Titel. In seinem Blick lag Überraschung, aber keine Spur von Angst.
»Wer sind Sie?«, fragte ich scharf.
»Was geht Sie das an?« Er beugte sich wieder über die Kiste. »Sind Sie der neue Lover von Marie?«
»Wie Sie wollen.« Ich zog das Handy aus der Tasche. »Dann rufe ich eben die Polizei an.«
»Warten Sie!« Er kam mir einen Schritt entgegen. »Das da gehört mir.« Er deutete auf die Kiste.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich bin Daniel Kaiser. Mein Vater hätte sicher gewollt, dass ich sein Archiv bekomme. Marie kann damit sowieso nichts anfangen.«
»Wie sind Sie hier hereingekommen?«
Er kam mir zwei weitere Schritte entgegen.
»Bleiben Sie stehen!«, sagte ich drohend.
Er lachte hektisch. »Ist ja schon gut. Ich bin kein Einbrecher.«
»Natürlich sind Sie das«, stellte ich fest. »Sie sind in dieses Haus eingedrungen und beabsichtigen, Gegenstände zu entwenden. Das ist eine Straftat, die mit Gefängnis geahndet wird.«
»Unsinn. Ich besitze einen Schlüssel. Schließlich habe ich hier mal gewohnt.«
Mein Handy klingelte. Es war Marie Kaiser.
»Es ist tatsächlich jemand hier«, sagte ich. »Er behauptet, er sei Daniel Kaiser.«
Der Mann schnaubte. »Ich behaupte es nicht, ich bin es.«
»Entscheiden Sie selbst, ob Sie ihn anzeigen wollen.«
»Wenn es wirklich Daniel ist ...«, sagte sie unsicher. »Kann ich hereinkommen?«
Mein Gegenüber machte keinen besonders gefährlichen Eindruck. »Ich denke schon.«
»Also, haben wir das jetzt geklärt?«, fragte der Sohn des Professors. »Darf ich weitermachen?«
»Nein, das dürfen Sie nicht. Lassen Sie die Sachen da, wo sie sind, und gehen Sie brav die Treppe rauf!«
»Spielen Sie sich nicht als Hausmeister auf!«, fuhr er mich an. »Mein Vater hat wertvolle Dokumente gesammelt. Sollen die in einem Keller vermodern? Ich bin Wissenschaftler, ich kann damit etwas anfangen. Marie hat doch keine Ahnung, welche Schätze hier lagern.«
»Ihr Vater hat ein Testament hinterlassen, in dem seine Erbschaft geregelt ist. Bis dahin werden Sie sich gedulden müssen.«
Er musterte mich und den Schraubenschlüssel. Schließlich sah er ein, dass ich die schlagkräftigeren Argumente hatte. Wir stiegen die Treppe hinauf.
Marie stand bereits im Flur. »Daniel!«
Er schaute zur Seite.
»Wussten Sie, dass er einen Hausschlüssel besitzt?«, fragte ich Marie.
»Nein, das hätte Günter sicher nicht geduldet. Seitdem ich hier wohne, hat Daniel das Haus nicht betreten.«
»Also, woher haben Sie den Schlüssel?«, fragte ich den Professorensohn.
»Ich habe mir einen Nachschlüssel machen lassen, bevor ich meinen alten abgegeben habe. Ich war selbst erstaunt, dass der Schlüssel noch passt.«
Ich streckte die Hand aus. »Geben Sie mir den Schlüssel!«
Er griff in die Hosentasche und gab ihn mir.
»Wir können doch über alles reden«, sagte Marie.
Daniel heulte auf: »O ja, die verständnisvolle Stiefmutter. Die Nummer kannst du dir sparen. Wer ist denn diese Rausschmeißerfigur? Dein Liebhaber?«
»Sie gehen jetzt besser«, schlug ich vor.
Er hatte keine Einwände.
Ich begleitete ihn zur Tür. »Welche Beziehung hatten Sie eigentlich zu Ihrem Vater?«
»Beziehung?« Daniel drehte sich nicht um. »Wir hatten keine Beziehung.«
Als ich ins Wohnzimmer kam, lag Marie mit geschlossenen Augen auf dem Sofa.
»Oh, mein Gott! Das ist alles zu viel für mich.«
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte ich.
»Nein, das heißt ...« Sie richtete sich auf. »Ich glaube, ich möchte ein Glas Rotwein. Trinken Sie eins mit?«
»Bier wäre mir lieber.«
»Bier haben wir leider nicht im Haus. Günter und ich sind Weintrinker. Waren, meine ich.« Sie stutzte. »Wie sagt man ...«
»Denken Sie nicht drüber nach! Wo finde ich den Wein?«
»In dem Sideboard da drüben liegen ein paar Flaschen.«
Ich entkorkte eine Flasche Cabernet Sauvignon aus Umbrien, füllte zwei Gläser und
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