Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
gegangen und damit weggefahren.»
«Und warum das?»
«Ja, warum wohl? Vielleicht wollte er sehr schnell irgendwohin. Oder er hatte vielleicht Angst, der Ermordete könnte zu früh identifiziert werden und dadurch würde ein Verdacht auf ihn fallen. Es könnten auch gleich mehrere Motive auf einmal gewesen sein. Die Frage ist, woher er kam. Wie kam es, daß er so früh am Morgen an dieser einsamen Stelle ein Bad nahm? Er ist nicht mit einem Wagen hingekommen, sonst müßte ja dieser zweite Wagen irgendwo geblieben sein. Er könnte in der Nähe gezeltet haben; aber es würde ihn ziemlich viel Zeit gekostet haben, das Zelt abzubrechen und alle seine Habseligkeiten in den Wagen zu packen, und dabei hätte ihn einer sehen können. Ich neige eher zu der Annahme, daß er mit dem Fahrrad da war und dieses hinten in den Wagen gelegt hat und damit fortgefahren ist.»
«Aber warum hat er in diesem Fall den Wagen genommen?»
«Weil er länger da unten in East Felpham gewesen war, als er vorgehabt hatte, und nun fürchtete, irgendwohin zu spät zu kommen. Entweder wurde er in irgendeinem Haus, wo sein Fehlen auffallen würde, zum Frühstück erwartet, oder er wohnte in einiger Entfernung und hatte gerade noch Zeit für den Heimweg. Ich glaube aber, er mußte irgendwo zum Frühstück erscheinen.»
«Warum?»
«Wenn es ihm nur darum gegangen wäre, schnell einen großen Abstand zu gewinnen, hätte er ebensogut mitsamt seinem Fahrrad ein Stück mit dem Zug fahren können. Nein; ich vermute, er wohnte irgendwo in einem kleinen Hotel. Nicht in einem großen, denn dort wäre es niemandem aufgefallen, ob er zum Frühstück kam oder nicht. Wahrscheinlich auch nicht in einer Pension, sonst hätte schon irgend jemand einmal erwähnt, daß er einen Pensionsgast hatte, der zum Baden nach East Felpham fuhr. Entweder war er also irgendwo in der Nähe zu Hause, und in diesem Falle müßte er leicht ausfindig zu machen sein, oder er wohnte bei Freunden, die ein Interesse daran haben, ihn zu decken. Oder – und das halte ich für wahrscheinlicher – er wohnte in einem kleinen Hotel, wo man ihn zwar beim Frühstück vermissen würde, sein Lieblingsbadeplatz aber nicht unbedingt jedermann bekannt war.»
«Das klingt plausibel», sagte der Untersetzte.
«Auf jeden Fall», fuhr der Erster-Klasse-Fahrgast fort, «muß er so nah bei East Felpham gewohnt haben, daß er es leicht mit dem Fahrrad erreichen konnte, so daß es nicht allzu schwierig sein dürfte, auf seine Spur zu kommen. Außerdem ist da ja noch das Auto.»
«Das schon. Aber wo ist das Auto nach Ihrer Theorie geblieben?» fragte der Gezierte, der offenbar immer noch seiner Camorra-Theorie nachtrauerte.
«In einer Werkstatt und wartet darauf, abgeholt zu werden», kam es prompt von dem Erster-Klasse-Fahrgast.
«Aber wo?» ließ der Gezierte nicht locker.
«Nun, irgendwo auf der anderen Seite von da, wo der Mörder wohnte. Wenn Sie einen besonderen Grund haben, niemanden wissen zu lassen, daß Sie zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort waren, macht es sich immer ganz gut, aus der anderen Richtung zurückzukommen. Ich glaube fast, man sollte den Wagen in West Felpham suchen und das Hotel in der nächstgelegenen Ortschaft an der Hauptstraße jenseits der Stelle, wo die Straßen nach East und West Felpham zusammenkommen. Wenn man den Wagen erst hat, kennt man natürlich auch den Namen des Opfers. Was den Mörder betrifft, so sollte man nach einem sportlichen Mann suchen, der ein guter Schwimmer und ein eifriger Radfahrer ist – wahrscheinlich nicht besonders wohlhabend, weil er sich kein Auto leisten kann –, der in der Nähe von Felpham Urlaub machte und guten Grund hatte, dem Opfer nicht sehr gewogen zu sein.»
«Na so was!» ließ sich die ältere Frau bewundernd vernehmen.
«Wie schön Sie das alles zusammenkombiniert haben. Richtig wie Sherlock Holmes, muß ich sagen.»
«Das ist ja eine ganz hübsche Theorie», sagte der Gezierte, «aber Sie werden schon noch sehen, daß doch ein Geheimbund dahintersteckt. Denken Sie an meine Worte! Ach du lieber Gott, wir fahren ja schon ein. Nur zwanzig Minuten Verspätung. Das nenne ich für die Urlaubszeit eine gute Leistung. Entschuldigen Sie bitte – mein Koffer liegt unter Ihren Füßen.»
Es befand sich noch ein achter Fahrgast im Abteil, der während der ganzen Unterhaltung scheinbar in seine Zeitung vertieft gewesen war. Als die Reisenden sich auf den Bahnsteig ergossen, faßte dieser Mann den
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