Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
Der Grund für seine Überraschung war nicht ohne weiteres ersichtlich, denn das Bild bestätigte in allen Einzelheiten die Schlüsse, die er in der Eisenbahn schon gezogen hatte. Es zeigte den bogenförmigen Sandstrand, den Felsausläufer, der dahinter bis ins tiefe Wasser hineinreichte und sich nach rückwärts bis zu dem trockenen, kurzen Gras erstreckte. Trotzdem betrachtete er es mehrere Minuten lang mit größter Aufmerksamkeit, bevor er die Zeitung zusammenfaltete und ein Taxi herbeiwinkte; und kaum saß er im Taxi, faltete er die Zeitung wieder auseinander und betrachtete es von neuem.
«Eure Lordschaft hatten mir freundlicherweise vorgeschlagen», sagte Inspektor Winterbottom, indem er sein Glas – für wahre Kennerschaft ein wenig zu schnell – leerte, «Sie bei Gelegenheit in London aufzusuchen, und so habe ich mir die Freiheit genommen, einmal kurz vorbeizukommen. Danke, ich sage nicht nein. Also, wie Sie inzwischen wohl in der Zeitung gelesen haben, ist der Wagen tatsächlich gefunden worden.»
Wimsey äußerte sich zufrieden mit diesem Ergebnis. «Und ich muß Eurer Lordschaft sehr für den Hinweis danken», fuhr der Inspektor großmütig fort, «was nicht heißen soll, daß ich mit der Zeit nicht selbst zu diesem Schluß gekommen wäre. Aber was noch mehr ist, wir sind dem Täter auf der Spur.»
«Wie ich sehe, soll er ein ausländisches Aussehen haben. Sagen Sie jetzt nicht, es handelt sich am Ende doch um einen Geheimbündler!»
«Nein, Mylord.» Der Inspektor zwinkerte ihm zu. «Unser Freund auf dem Eckplatz liest zuviel in Illustrierten, wenn Sie mich fragen. Und Sie, Mylord, sind mit Ihrer Radfahrtheorie auch ein bißchen übers Ziel hinausgeschossen.»
«So? Das trifft mich aber hart.»
«Nun ja, sehen Sie, Mylord, diese Theorien klingen ja alle ganz plausibel, aber meistens sind sie dann doch ein bißchen zu fein gesponnen. Halte dich an die Tatsachen – das ist unser Motto bei der Polizei –, halte dich an die Tatsachen und das Motiv, dann kannst du nicht allzuweit fehlgehen.»
«Ach! Dann haben Sie also schon das Motiv?»
Der Inspektor zwinkerte ihm erneut zu.
«So viele Motive für einen Mord gibt es ja im allgemeinen gar nicht», sagte er. «Frauen oder Geld – oder Frauen und Geld –, meist läuft es auf das eine oder das andere hinaus. Dieser Plant, der war nun ein kleiner Bruder Lustig. Hielt sich ein kleines Cottage da unten bei Felpham, mit einem hübschen Weiberröckchen darin zur Verschönerung und um das Liebesnest warm zu halten -verstehen Sie?»
«Oho! Und ich dachte, er sei zu einer Autotour aufgebrochen.»
«Autotour – Pustekuchen!» versetzte der Inspektor mit mehr Temperament als Höflichkeit. «Das hat der alte (Kraftausdruck) denen in der Agentur weisgemacht. Hübsche Ausrede, um keine Adresse hinterlassen zu müssen, verstehen Sie? Nein, nein, da war sehr wohl eine Frau im Spiel. Ich habe sie gesehen. Ganz ansehnliches Ding übrigens, wenn’s einer gern mager hat. Ich für meinen Teil hab sie ja lieber ein bißchen gepolstert.»
«Der Sessel ist wirklich viel bequemer mit einem Kissen», warf Wimsey fürsorglich ein. «Gestatten Sie?»
«Danke, Mylord, danke, ich sitze recht gut. Anscheinend hatte diese Frau – übrigens, ich sage Ihnen das im Vertrauen. Ich möchte nicht, daß es weiterverbreitet wird, bevor wir unsern Mann hinter Schloß und Riegel haben.»
Wimsey gelobte Diskretion.
«Schon recht, Mylord, schon recht. Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Also, der langen Rede kurzer Sinn ist, daß diese junge Frau noch einen andern Verehrer hatte – so eine Art Italiener, den sie für Plant sitzengelassen hatte, und der kriegte nun Wind von der Geschichte und kam am Sonntagabend nach East Felpham, um sie zu suchen. Er arbeitet als Eintänzer im Palais de Danse in Richtung Cricklewood, und von dort kommt auch die Frau. Sie hat wohl Plant für etwas Besseres gehalten als ihn. Jedenfalls überfiel er sie am Sonntag beim Abendessen – und da ist der Krach dann losgegangen.»
«Wußten Sie denn nichts von diesem Cottage und den Vorgängen dort?»
«Ach, sehen Sie, da kommen doch so viele Wochenendurlauber hin. Wir können sie nicht alle im Auge behalten, solange sie sich benehmen und keine Unruhe stiften. Die Frau ist, wie ich höre, seit letztem Juni da, und er kommt immer von samstags bis montags; aber es ist ein einsames Fleckchen, und der Konstabler hat nicht viel von alledem mitbekommen. Er kam immer abends, so daß eigentlich
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