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Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Titel: Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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sie verlegen zurück und sagte: «Laß es gut sein, Kitty.»
    «Also, ich sehe das so», fuhr der Untersetzte fort. «Da haben wir ja nun diesen Krieg hinter uns, und seitdem laufen Hunderte von Männern gewissermaßen mit völlig gestörtem Gleichgewicht herum. Ihre Freunde sind vor ihren Augen in die Luft geflogen oder von Kugeln zerfetzt worden. Sie haben fünf Jahre Greuel und Blutvergießen hinter sich, und da sind ihnen diese Greuel sozusagen in den Kopf gestiegen. Sie können das zwar alles scheinbar vergessen und äußerlich so friedfertig wirken wie jeder andere, aber das ist alles nur künstlich, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und dann passiert eines Tages etwas, worüber sie sich aufregen – sie haben Krach mit der Frau, oder es ist ein ganz besonders heißer Tag, so wie heute –, und dann macht es irgendwo in ihrem Gehirn auf einmal knacks, und sie werden zu reißenden Bestien. Steht alles in den Büchern. Ich lese nämlich abends ziemlich viel; als Junggeselle ohne Anhang kann ich mir das ja leisten.»
    «Das ist sicher alles wahr», meinte ein gezierter kleiner Mann, indem er von seiner Illustrierten aufsah. «Sehr wahr – leider nur zu wahr. Aber glauben Sie, daß es in diesem Fall auch zutrifft? Ich habe die Kriminalliteratur ziemlich genau studiert – man kann sagen, es ist mein Steckenpferd –, und wenn Sie mich fragen, steckt hier mehr dahinter, als man mit bloßem Auge sieht. Wenn man diesen Mord mit einigen der rätselhaftesten Verbrechen der letzten Jahre vergleicht – Verbrechen, wohlgemerkt, die nie aufgeklärt wurden und meines Erachtens auch nie aufgeklärt werden –, was stellt man da fest?» Er legte eine Kunstpause ein und blickte fragend in die Runde. «Man wird so manche Gemeinsamkeit mit diesem Fall feststellen. Vor allem aber wird man sehen, daß in diesem Fall das Gesicht – und nur das Gesicht, wohlgemerkt – verunstaltet wurde, als ob da einer verhindern wollte, daß man das Opfer identifiziert. Als wenn seine ganze Persönlichkeit restlos von der Erde getilgt werden sollte. Und man wird feststellen, daß trotz gründlichster Ermittlungen der Täter nie gefaßt wird. Und worauf weist das nun alles hin? Auf Organisation. Auf einen ungeheuer mächtigen Einfluß, der hinter den Kulissen am Werk ist. Hier in dieser Illustrierten, die ich gerade lese –» damit tippte er gewichtig auf die betreffende Seite –, «steht ein Bericht – keine erfundene Geschichte, wohlgemerkt, sondern ein Bericht, der auf Polizeiakten beruht – über die Organisation eines dieser Geheimbünde, die sich Leute herauspicken, gegen die sie etwas haben, um sie zu vernichten. Und deren Gesichter verunstalten sie dann immer mit dem Zeichen ihres Geheimbunds, und die Spuren des Täters verwischen sie so gründlich – Geld und alles, was sie sonst brauchen, haben sie ja zur Verfügung –, daß man nie an sie herankommt.»
    «So was hab ich natürlich auch schon gelesen», räumte der Untersetzte ein, «aber ich hab immer gedacht, so was gehört ins Mittelalter. In Italien hatten sie mal so was. Wie hieß das noch? Eine Gomorra, nicht? Gibt es denn heutzutage noch Gomorras?»
    «Da sagen Sie ein wahres Wort, Sir, wenn Sie von Italien reden», antwortete der Gezierte. «Die Mentalität des Italieners ist zur Intrige geschaffen. Nehmen Sie die Faschisten. Jetzt sind sie natürlich an die Oberfläche aufgetaucht, aber angefangen hat das auch mit einem Geheimbund. Und wenn Sie mal unter die Oberfläche schauen könnten, würden Sie nur noch staunen, wie dieses Land von Geheimbünden aller Art unterhöhlt ist. Geben Sie mir da nicht recht, Sir?» wandte er sich an den Erster-Klasse-Fahrgast.
    «Ha!» rief der Untersetzte. «Dieser Herr ist sicher schon in Italien gewesen und weiß das alles. Würden Sie sagen, daß dieser Mord das Werk einer Gomorra ist, Sir?»
    «Ich hoffe es zumindest nicht», antwortete der Erster-KlasseFahrgast. «Ich meine, das würde alles Interesse zerstören. So einen hübschen kleinen einheimischen Mord mit totem Millionär in der Bibliothek und so weiter weiß ich durchaus zu schätzen, aber sowie ich einen Kriminalroman aufschlage und sehe, daß eine Camorra im Spiel ist, verdorrt mein Interesse schlagartig und zerfällt zu Staub und Asche – ein Sodom und Camorra gewissermaßen.»
    «Da gebe ich Ihnen recht», meinte der junge Ehemann, «jedenfalls vom künstlerischen Standpunkt betrachtet. Aber in diesem speziellen Fall finde ich doch, daß einiges für den Standpunkt

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