Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
Erster-Klasse-Fahrgast am Arm.
«Entschuldigen Sie, Sir», sagte er. «Das war eine sehr interessante Theorie von Ihnen. Mein Name ist Winterbottom, und ich führe die Ermittlungen in diesem Fall. Würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen? Könnte sein, daß ich mich noch einmal mit Ihnen in Verbindung setzen möchte.»
«Gewiß», sagte der Erster-Klasse-Fahrgast. «Ich stecke doch so gern überall meine Nase hinein. Hier ist meine Karte. Besuchen Sie mich, wann immer Sie wollen.»
Kriminalinspektor Winterbottom nahm die Karte und las den Namen:
LORD PETER WIMSEY
110a Piccadilly
Der Verkäufer der Evening Views vor der U-Bahn-Station Piccadilly entfaltete mit großer Sorgfalt sein Plakat. Es machte sich gut, fand er.
MANN OHNE GESICHT IDENTIFIZIERT
Für seinen Geschmack war es zum Beispiel viel augenfälliger als das der Konkurrenzzeitung, das phantasielos verkündete:
STRANDOPFER IDENTIFIZIERT
Ein jüngerer Herr im grauen Anzug, der in diesem Moment aus der Criterion Bar trat, schien das auch zu finden, denn er zückte einen Penny und tauschte ihn gegen eine Evening Views ein, in die er sich sogleich mit solch konzentriertem Interesse vertiefte, daß er gegen einen eiligen Mann vor der Station stieß und sich entschuldigen mußte.
Die Evening Views, dem Mörder und Ermordeten gleichermaßen dankbar für die sehr gelegene Sensation mitten in der Saure-Gurken-Zeit, hatte die ungeheuer spannende Wetterstatistik der Herren Negretti & Zambra aus der Aufmacherposition, die sie in der Mittagsausgabe noch innegehabt hatte, herausgerissen und an ihre Stelle gesetzt:
GESICHTSLOSES OPFER DES STRAND-
MORDES IDENTIFIZIERT
Mord an prominentem Werbegraphiker
Polizei verfolgt Hinweise
«Bei der am Montagmorgen am Strand bei East Felpham entdeckten, nur mit einer Badehose bekleideten Leiche eines etwa 40 bis 50jährigen Mannes, dessen Gesicht mit Hilfe eines scharfkantigen Gegenstandes furchtbar entstellt worden war, handelt es sich um Mr. Correggio Plant, Atelierleiter der bekannten Werbeagentur Crichton Ltd. in Holborn.
Der 45 jährige Junggeselle Plant hatte sich für seinen Jahresurlaub eine Autotour entlang der Westküste vorgenommen, und da er allein reiste und keine Adresse hinterlassen hatte, wäre ohne die gute Arbeit Kriminalinspektor Winterbottoms von der Polizei Westchester sein Verschwinden wahrscheinlich erst entdeckt worden, wenn er sich in drei Wochen wieder an seiner Arbeitsstelle hätte einfinden sollen. Damit hatte der Mörder zweifellos gerechnet und deshalb in der Hoffnung, die Spuren seines abscheulichen Verbrechens zu verwischen und dadurch Zeit zu gewinnen, den Wagen, in dem sich die persönliche Habe des Opfers befand, verschwinden lassen.
Eine gründliche Suche nach dem vermißten Wagen führte jedoch schließlich zu dessen Auffindung in einer Werkstatt in West Felpham, wo er zur Motorreinigung und Reparatur des Magnetzünders abgegeben worden war. Mr. Spiller, der Werkstattbesitzer, hat den Mann, der aus dem Wagen stieg, selbst gesehen und der Polizei eine Beschreibung geben können. Nach seinen Angaben handelte es sich um einen kleinen, dunkelhaarigen Mann von ausländischem Aussehen. Die Polizei ist im Besitz weiterer Hinweise auf seine Identität, so daß eine Festnahme in naher Zukunft erwartet werden kann.
Mr. Plant arbeitete seit 15 Jahren bei der Firma Crichton, wo er in den letzten Kriegsjahren zum Atelierleiter aufstieg. Er war bei allen Mitarbeitern sehr beliebt, und seine kunstvollen Anzeigenentwürfe und -ausführungen haben sehr zur Rechtfertigung des bekannten Werbemottos der Firma Crichton beigetragen, das da lautet: ‹Crichton-Werbung wird bewundert.›
Die Beisetzung des Opfers findet morgen auf dem Friedhof von Golders Green statt.
(Fotos auf der letzten Seite.)»
Lord Peter Wimsey wandte sich der letzten Seite zu. Am Porträt des Opfers hielt er sich nicht lange auf. Es war eine jener nichtssagenden Studioaufnahmen, denen man lediglich entnehmen kann, daß die abgebildete Person ein halbwegs annehmbares Gesicht ihr eigen nennt. Er sah, daß Mr. Plant eher dünn als dick war, in der Erscheinung eher geschäftsmäßig als künstlerisch wirkte und vom Fotografen eher ernst als lächelnd aufgenommen worden war. Ein Bild des Strandes von East Felpham mit einem Kreuz an der Stelle, an der die Leiche gefunden worden war, schien dagegen mehr als nur oberflächliches Interesse in ihm zu wecken. Er studierte es eine ganze Weile und stieß dabei leise Überraschungslaute aus.
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