Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
niemand da war, der ihn erkennen konnte, außer der alten Frau, die ihnen den Aufwasch machte, und die ist halb blind. Und als er gefunden wurde, hatte er ja auch kein Gesicht mehr, das man hätte erkennen können. Alle würden nur denken, er sei wie immer abgereist, und ich wette, davon ist dieser Italiener auch ausgegangen. Wie gesagt, es gab einen großen Krach, und der Italiener wurde vor die Tür gesetzt. Er muß sich dann unten an der Badestelle auf die Lauer gelegt haben und hat Plant umgebracht.»
«Indem er ihn erwürgte?»
«Er wurde schließlich erwürgt.»
«Wurde denn sein Gesicht mit einem Messer zerschnitten?»
«Hm, nein – ich glaube nicht, daß es ein Messer war. Wenn Sie mich fragen, würde ich eher eine zerbrochene Flasche vermuten. Davon werden ja genug von der Flut angeschwemmt.»
«Aber dann stehen wir doch wieder vor unserm alten Problem. Wenn dieser Italiener sich auf die Lauer gelegt hat, um Plant zu ermorden, warum hat er sich dann keine Waffe eingesteckt, statt auf seine bloßen Hände und eine zufällig herumliegende Flaschenscherbe zu vertrauen?»
Der Inspektor schüttelte den Kopf. «Verrückt», meinte er.
«Diese Ausländer sind doch alle irgendwie verrückt. Kein Hirn im Kopf. Aber da haben wir unsern Mann und unser Motiv, das ist sonnenklar. Mehr kann man sich nicht wünschen.»
«Und wo ist der Italiener jetzt?»
«Getürmt. Das ist ja an sich schon Schuldbeweis genug. Aber wir werden ihn bald haben. Deswegen bin ich ja auch hier in London. Aus dem Land kommt er nicht. Ich habe eine Fahndungsmeldung nach ihm herausgehen lassen. Die Leute aus dem Palais de Danse haben uns ein Foto und eine gute Beschreibung gegeben. Ich rechne jeden Augenblick mit der Nachricht von seiner Festnahme. Ich sollte mich überhaupt am besten wieder auf den Weg machen. Vielen Dank für Ihre Gastlichkeit, Mylord.»
«Es war mir ein Vergnügen», sagte Wimsey, indem er läutete, um seinen Besucher hinausführen zu lassen. «Unsere Unterhaltung hat mir sehr großen Spaß gemacht.»
Als Wimsey andern Mittags um zwölf ins Falstaff kam, traf er wie erwartet Salcombe Hardy an, der seinen rundlichen Korpus an die Bar lehnte. Der Reporter begrüßte seine Ankunft mit einer Herzlichkeit, die an Begeisterung grenzte, und bestellte sofort zwei große Scotch. Nachdem der übliche Streit um die Frage, wer bezahlen dürfe, durch prompte Beseitigung der Getränke und unmittelbare Bestellung einer neuen Runde ehrenhaft beigelegt war, zog Wimsey eine Evening Views vom Vorabend aus der Tasche.
«Könnten Sie die Leutchen in Ihrer Redaktion nicht mal fragen, ob sie mir einen anständigen Abzug hiervon besorgen können?» fragte er, indem er auf das Foto des Strandes von East Felpham zeigte.
Salcombe Hardy sah ihn aus wäßrigblauen Veilchenaugen fragend an.
«Sagen Sie mal, Sie alter Schnüffler», meinte er, «soll das vielleicht heißen, Sie haben eine Theorie zu dem Fall? Ich brauche nämlich dringend Stoff. Muß die Suppe am Kochen halten, Sie wissen ja. Die Polizei scheint seit gestern abend nicht mehr viel weitergekommen zu sein.»
«Nein, ich interessiere mich aus einem völlig anderen Blickwinkel für die Geschichte. Ich hatte so etwas wie eine Theorie, aber die scheint völlig verkehrt zu sein. Selbst Homer soll ja manchmal einnicken, nicht? Aber ich hätte doch gern einen Abzug hiervon.»
«Warren soll Ihnen gleich einen besorgen, wenn wir zurück sind. Ich nehme ihn nämlich mit zu Crichton. Wir sollen uns da ein Bild ansehen. Sagen Sie mal, könnten Sie nicht auch mitkommen und mir sagen, was Sie von dem Mistding halten?»
«Du lieber Himmel, ich verstehe doch nichts von Werbegraphik!»
«Es geht nicht um Werbegraphik. Soll ein Porträt von diesem Plant sein. Gemalt von einem der Leute aus dem Atelier oder so ähnlich. Die Kleine, die mir davon erzählt hat, sagt, es sei gut. Ich weiß es nicht. Sie weiß es wahrscheinlich auch nicht. Ihnen sagt man doch eine künstlerische Ader nach, oder?»
«Ich wünschte, Sie würden sich nicht immer so vulgär ausdrücken, Sally. Künstlerische Ader! Wer ist denn das Mädchen?»
«Stenotypistin aus der Textabteilung.»
«Mein Gott, Sally!»
«Nichts dergleichen. Hab sie nie zu Gesicht bekommen. Gladys Twitterton heißt sie. Der Name allein dürfte genügen, um jeden Interessenten abzuschrecken. Sie hat gestern abend bei uns angerufen und uns erzählt, sie hätten dort einen, der diesen Plant mal in Öl gemalt hat, und ob wir etwas damit anfangen
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