Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
erstes sah er hier Farrens Malkasten offen auf dem Tisch, die Farben wild durcheinandergewürfelt, die Palette achtlos dazwischen. Hinter der Tür hing ein alter Malerkittel, den Wimsey einigermaßen gründlich von innen wie von außen untersuchte, ohne aber offenbar etwas zu finden, was seiner Aufmerksamkeit wert gewesen wäre. Er ließ ein Glas unter dem Wasserhahn vollaufen, während seine Augen unablässig durch den Raum schweiften. Die Staffelei stand an ihrem Platz, eine halbfertige Leinwand darauf. Die kleine, tragbare Staffelei lehnte zusammengeschnürt am Waschbecken. Farren war offenbar nicht zum Malen fortgegangen.
Das Wasser lief ihm über die Finger und erinnerte ihn daran, weswegen er angeblich hier war. Er wischte das Glas ab und wollte das Atelier verlassen, als sein Blick auf Farrens Angelausrüstung fiel, die in einer Ecke hinter der Tür stand. Zwei Forellenruten, eine Lachsrute, Netz, Reuse, Fischhaken und Wasserstiefel. Natürlich konnte Farren noch eine vierte Rute besitzen, und schließlich kann man auch ohne Wasserstiefel und Reuse zum Angeln gehen, aber wie die Sachen dort standen, machten sie den Eindruck geruhsamer Vollständigkeit.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück. Mrs. Farren wehrte das Glas Wasser ungehalten ab.
«Danke – das brauche ich nicht. Ich hab’s Ihnen doch gleich gesagt. Mir fehlt nichts.»
Ihre verängstigten und übernächtigen Augen straften sie Lügen. Wimsey war sich seiner Roheit voll bewußt, aber irgendwer mußte hier bald diese Fragen stellen. Das kann ich ebensogut wie die Polizei, dachte er.
«Ihr Gatte müßte ja bald wieder hier sein», sagte er. «Mittlerweile wird sich die Nachricht über das ganze Land verbreitet haben. Es wundert mich, ehrlich gesagt, daß er nicht längst schon hier ist. Sie haben gar keine Ahnung, wo er steckt?»
«Nicht die mindeste.»
«Ich meine, ich würde ihm ja gern eine Nachricht von Ihnen bringen oder irgend so etwas.»
«Warum sollten Sie? Trotzdem vielen Dank. Aber wirklich, Lord Peter, Sie reden, als wäre dieser Todesfall in meiner Familie. Gewiß, wir haben Mr. Campbell sehr gut gekannt, aber darum besteht doch jetzt für mich kein Grund zum Heulen und Wehklagen … Das mag vielleicht gefühllos klingen –»
«Aber nicht doch. Ich fand nur, Sie sahen ein wenig mitgenommen aus. Freut mich, wenn es ein Irrtum war. Vielleicht ein Mißverständnis –»
«Vielleicht», sagte sie mit müder Stimme. Dann schien sie sich wieder einmal einen Ruck zu geben und wandte sich fast hitzig aufs neue an ihn.
«Mr. Campbell hat mir immer leid getan. Er war hier sehr unbeliebt, und das hat er bitterer empfunden, als es die Leute wahrhaben wollten. Immerzu hat er mit allen im Hader gelegen. Damit macht man sich nicht beliebt. Und je mehr nun einer die Welt dafür haßt, daß sie ihn haßt, desto unbeliebter macht er sich und desto mehr hassen ihn wieder die anderen. Ich habe das verstanden. Gefallen hat der Mann mir auch nicht. Das war wohl nicht möglich. Aber ich habe versucht, fair zu sein. Ich möchte annehmen, daß die Leute das mißverstanden haben. Aber man kann nicht einfach aufhören, das Rechte zu tun, nur weil die Leute einen mißverstehen könnten, oder?»
«Nein», sagte Wimsey. «Wenn Sie und Ihr Mann –»
«Oh!» rief sie. «Hugh und ich haben einander verstanden.»
Wimsey nickte. Sie lügt, dachte er. Farrens Abneigung gegen Campbell war stadtbekannt. Aber sie gehörte zu der Sorte Frauen, die sich einmal in den Kopf gesetzt haben, Schönheit und Licht zu verbreiten, und an dieser ihrer Mission verbissen festhalten. Er betrachtete den etwas vollen, launischen Mund und die schmale, entschlossene Stirn. Das war das Gesicht einer Frau, die nur sah, was sie sehen wollte – die glaubte, man könne das Böse aus der Welt vertreiben, indem man so tue, als ob es nicht da sei. Dinge zum Beispiel wie Eifersucht oder Kritik an ihrer Person. Eine gefährliche, weil dumme Frau. Dumm und gefährlich wie Desdemona.
«Nun ja», sagte er obenhin. «Wollen wir hoffen, daß der Herumtreiber bald wieder aufkreuzt. Er hat mir doch versprochen, mir ein paar von seinen Sachen zu zeigen. Ich kann’s kaum erwarten, sie zu sehen. Möchte wetten, daß ich ihn bei meinen Spritztouren übers Land noch irgendwo treffe. Wie immer mit dem Fahrrad unterwegs, wie?»
«Ja, o ja, er hat sein Fahrrad mitgenommen.»
«Ich glaube, in Kirkcudbright gibt’s mehr Fahrräder pro Kopf der Bevölkerung als in jeder anderen Stadt, wo ich schon
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