Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
herrschte nicht gerade Unordnung; nichts zeugte von offener Feldschlacht; aber die Kissen waren zerdrückt, hier und da war eine von den Blumen verwelkt; ein dünner Staubfilm lag auf der Fensterbank und dem Tisch. In den Wohnungen mancher seiner Freunde hätte das bloße Nachlässigkeit bedeutet, auch eine gewisse Erhabenheit über so triviale Dinge wie Staub und Unordnung, aber bei Mrs. Farren war es ein Phänomen von weittragender Bedeutung. Für sie war die Schönheit eines geordneten Lebens mehr als bloße Phrase; sie war ein Dogma, das es zu predigen galt, ein mit Leidenschaft und Hingabe zu übender Kult. Wimsey, der über genügend Phantasie verfügte, erblickte in diesen schwachen Spuren die Zeugen einer bangen Nacht, eines Morgens voller Schrecken; er erinnerte sich an die ängstliche Gestalt an der Tür, an den Mann – ja. Da war ein Mann gewesen. Und Farren war nicht da. Und Mrs. Farren war eine sehr schöne Frau, wenn einem der Typ gefiel – ovales Gesicht mit großen grauen Augen und einer Überfülle kupferfarbenen Haares, das in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem dicken Knoten zusammengerollt war.
Schritte huschten unterm Fenster vorbei – Jeanie mit einem Korb am Arm. Mrs. Farren kam wieder herein und nahm in dem hohen, schmalrückigen Sessel Platz, wobei sie an ihm vorbei zum Fenster hinausschaute wie eine verzweifelte Bettlermaid, die sich langsam fragt, ob König Kophetua nicht so etwas wie eine Familienplage war.
«Und wohin», fragte Wimsey mit stumpfer Taktlosigkeit, «ist Farren verschwunden?»
Die großen Augen verdunkelten sich plötzlich vor Angst oder Schmerz. «Er ist ausgegangen – irgendwohin.»
«So ein Loser», sagte Wimsey. «Oder arbeitet er etwa?»
«Ich – weiß es nicht genau.» Mrs. Farren lachte. «Sie wissen doch, wie das hier so ist. Da geht einer weg und sagt, er ist zum Essen wieder da, aber dann trifft er einen andern oder jemand erzählt ihm, daß irgendwo die Lachse springen, und schon ist er über alle Berge.»
«Ich weiß – es ist schändlich», meinte Wimsey mitfühlend.
«Heißt das, er ist nicht einmal an die heimische Krippe gekommen?»
«Ach nein – ich habe nur ganz allgemein gesprochen. Natürlich war er zum Essen hier.»
«Und danach ist er gleich wieder verduftet, nehme ich an, angeblich nur für zehn Minuten, um Zigaretten zu holen. Es ist schon eine Gemeinheit, wie wir uns benehmen. Ich bin selbst so ein rücksichtsloser Egoist, allerdings bedrückt es mein Gewissen nicht so sehr. Schließlich wird Bunter dafür bezahlt, daß er’s bei mir aushält. Es ist nicht so, als ob ich ein liebendes Weib hätte, das mir die Pantoffeln wärmt und alle fünf Minuten zur Tür hinausspäht, ob ich nicht endlich heimzukommen gedenke.»
Mrs. Farren sog scharf die Luft ein.
«Ja, das ist schrecklich, nicht?»
«Schrecklich. Doch, ich meine es wirklich. Ich finde es unfair. Schließlich weiß man doch nie, was einem Menschen zustoßen kann. Denken Sie nur an den armen Campbell.»
Diesmal konnte es keinen Zweifel geben. Mrs. Farren entfuhr ein erschrockener Seufzer, der fast ein Schrei war; aber sie fing sich sofort wieder.
«Bitte, Lord Peter, erzählen Sie mir doch, was nun wirklich passiert ist. Jeanie ist mit so einer fürchterlichen Geschichte nach Hause gekommen, daß er umgekommen sei. Aber sie regt sich immer so auf und redet so ein breites Schottisch, daß ich sie wirklich nicht genau verstanden habe.»
«Leider ist es wahr», sagte Wimsey ernst. «Man hat ihn gestern nachmittag mit eingeschlagenem Schädel im Minnoch gefunden.»
«Mit eingeschlagenem Schädel? Heißt das etwa –?»
«Nun, es ist schwer zu sagen, wie das nun wirklich passiert ist. Sehen Sie, der Bach ist voller Steine –»
«Ist er hineingefallen?»
«Sieht so aus. Er lag im Wasser. Aber er ist nicht ertrunken, sagt der Arzt. Der Schlag auf den Schädel hat ihn getötet.»
«Wie furchtbar!»
«Daß Sie davon nicht schon früher gehört haben», meinte Wimsey. «Er war doch ein guter Freund von Ihnen, nicht wahr?»
«Ja – doch – wir haben ihn recht gut gekannt.» Sie verstummte, und Wimsey glaubte schon, sie werde gleich in Ohnmacht fallen. Er sprang auf.
«Warten Sie mal – ich glaube, der Schreck war zu groß für Sie. Ich hole Ihnen ein Glas Wasser.»
«Nein – nein –» Sie streckte abwehrend die Hand nach ihm aus, aber er war schon ins Atelier verschwunden, wo er sich erinnerte, einmal einen Wasserhahn mit Becken gesehen zu haben. Als
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