Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
einen jungen Burschen aufgegriffen, der auf das Schiff nach Larne wollte … jawohl, ich rufe später noch mal an, Sir Maxwell.»
Der Polizeipräsident legte den Hörer auf und wandte sich mit säuerlichem Lächeln an Wimsey.
«Das sieht allerdings aus, als ob Sie recht hätten», gab er widerstrebend zu. «Aber», fuhr er schon zuversichtlicher fort, «nachdem man jetzt diesen Mann in Stranraer festgenommen hat, wird der Fall ja noch heute früh geklärt werden.»
«Vielleicht», sagte Wimsey, «obwohl ich eigentlich bezweifle, daß einer, der den Unfall so raffiniert vorgetäuscht hat, auf der anderen Seite so dumm ist, sich durch eine verspätete Flucht nach Irland zu verraten. Finden Sie nicht auch?»
«Stimmt», sagte Jamieson. «Wenn er fliehen wollte, hätte er das Schiff gestern vormittag nehmen können. Und wenn er den Unschuldigen spielen wollte, hätte er das am besten zu Hause getan.»
«Hm», machte Wimsey. «Wissen Sie, ich glaube, daß es an der Zeit ist, über das eine oder andere mit Farren und Gowan und Waters zu reden – nur daß er verschwunden ist –, überhaupt mit allen braven Bürgern von Kirkcudbright. So ein bißchen Klatsch und Tratsch, wissen Sie, von einem netten, freundlichen und vor allem neugierigen Zeitgenossen wie mir kann in der Krise Wunder wirken. Es ist gar nichts Ungewöhnliches dabei, wenn ich meine Morgenrunde durch die Ateliers mache. Von mir läßt sich keiner stören. Stellen Sie sich vor, ein paar von ihnen habe ich schon so gut dressiert, daß sie mich sogar beim Malen zuschauen lassen. Eine Amtsperson wie Sie würde sie vielleicht befangen machen, aber an mir ist so gar nichts Amtliches dran. Ich wäre wahrscheinlich die allerletzte Respektsperson in ganz Kirkcudbright. Ich bin schon mit einem dämlichen Gesicht auf die Welt gekommen und werde tagtäglich in jeder Beziehung dußliger. Sehen Sie, Herr Polizeipräsident, sogar Sie lassen zu, daß ich hierherkomme, auf Ihren Amtsstühlen herumsitze und meine Pfeife rauche und betrachten mich höchstens als einen liebenswerten Störenfried – stimmt’s etwa nicht?»
«Sie haben da vielleicht gar nicht so unrecht», pflichtete Jamieson ihm bei, «aber gehen Sie bitte auf jeden Fall diskret vor. Das Wörtchen ‹Mord› braucht überhaupt nicht zu fallen.»
«Versteht sich», sagte Wimsey. «Das sollen die anderen zuerst aussprechen. Also dann, gehabt Euch wohl!»
Wimsey mochte äußerlich nicht viel von einer Respektsperson an sich haben, aber die Art, wie er im Hause Farren empfangen wurde, strafte seine Behauptung Lügen, daß sich «niemand von ihm stören» lasse. Die Tür wurde von Mrs. Farren geöffnet, die bei seinem Anblick mit einem Seufzer, der vielleicht nur Überraschung war, aber mehr nach Schrecken klang, gegen die Wand zurücktaumelte.
«Hallo!» sagte Wimsey, indem er wie selbstverständlich über die Schwelle trat. «Wie geht’s Ihnen denn so, Mrs. Farren? Hab Sie ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen – na ja, erst seit Freitag abend bei Bobbie, aber mir kommt’s wie eine Ewigkeit vor. Alles wohlauf und kreuzfidel? Wo ist denn Farren?»
Mrs. Farren, bleich wie ein Gespenst, von Burne-Jones in einem seiner vorraffaelitischen Momente gemalt, reichte ihm eine eiskalte Hand.
«Mir geht’s gut, danke. Aber Hugh ist nicht da. Äh – treten Sie doch ein.»
Wimsey, der längst drin war, nahm die Einladung allerherzlichst dankend an.
«Das ist aber sehr lieb von Ihnen – störe ich denn auch wirklich nicht? Sie sind doch wahrscheinlich beim Kochen, oder nicht?»
Mrs. Farren schüttelte den Kopf und führte ihn in das kleine Wohnzimmer mit den meergrünen und blauen Vorhängen und den Vasen voller orangefarbener Ringelblumen.
«Oder ist heute die Weberei dran?» Mrs. Farren webte nämlich selbstgesponnene Wolle zu durchaus hübschen Mustern. «Darum beneide ich Sie ja wirklich, müssen Sie wissen. Kommt einem so ein bißchen vor wie die Dame von Shalott. Der Fluch ist über mich gekommen und dergleichen. Sie haben mir versprochen, mich eines Tages auch mal ans Spinnrad zu lassen.»
«Ich fürchte, heute bin ich ziemlich faul», sagte Mrs. Farren mit dünnem Lächeln. «Ich war gerade – nur eben – entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick.»
Sie ging hinaus, und Wimsey hörte sie mit jemandem sprechen hinterm Haus – wahrscheinlich mit dem Mädchen, das zum Putzen kam. Er sah sich im Zimmer um, und sein flinkes Auge bemerkte gleich die eigenartig verzweifelte Atmosphäre. Es
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