Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
am ersten Hotel des Ortes vorfahren zu wollen, plötzlich aber überlegte er es sich anders, gab wieder Gas und hielt schließlich vor einer kleineren Herberge, die durch das Bildnis eines schnaubenden Bullen gekennzeichnet war, der wild über eine smaragdgrüne Wiese unter strahlendem Sommerhimmel dahinstob.
Er stieß die Tür auf und trat ein. Der Wirt stand gläserputzend hinter der Bar und entbot ihm höflich einen guten Morgen.
«Ein wunderschöner Morgen», sagte der Reisende.
«Kann man wohl sagen», bestätigte der Wirt.
«Können Sie mir ein Frühstück machen?»
Der Wirt schien diese Frage sorgfältig abzuwägen.
«He, Mutter!» brüllte er endlich, zu einer Innentür gewandt.
«Kannst du dem Herrn ein Frühstück machen?»
Die Frage rief eine anmutige Mittvierzigerin auf den Plan, die, nachdem sie den Herrn eingehend betrachtet und begutachtet hatte, wohl der Meinung war, sie könne, falls dem Herrn ein Frühstück bestehend aus Eiern und Cumberland-Schinken recht sei.
Der Herr konnte sich gar nichts Besseres vorstellen, und so wurde er in einen Salon voller Plüschsessel und ausgestopfter Vögel geführt und gebeten, Platz zu nehmen. Nach einer Pause erschien eine stämmige junge Frau, um den Tisch zu decken. Nach einer weiteren Pause kam eine große, dampfende Teekanne, nebst selbstgebackenem Brot, einem Teller Korinthenbrötchen, einem großen Klecks Butter und zwei Sorten Marmelade. Zuletzt erschien die Wirtin, die den Schinken mit Ei persönlich hereingeleitete.
Der Motorist beglückwünschte sie ob des ausgezeichneten Frühstücks und erwähnte, daß er eben von Schottland herunterkomme. Er machte ein paar verständige Bemerkungen über das Räuchern von Schinken und schilderte sachkundig die in Ayrshire gängige Methode. Vor allem erkundigte er sich nach einem bestimmten Käse, der eine Spezialität dieser Gegend sei. Die Wirtin – bei der das Monokel zunächst einige Zweifel geweckt hatte – gelangte allmählich zu der Ansicht, daß ihr Gast ein sehr viel umgänglicherer Mensch sei, als es den ersten Anschein hatte, und bot willfährig an, das Mädchen in den Laden an der Ecke zu schicken und ihm einen solchen Käse zu besorgen.
«Ich sehe, Sie kennen unsere Stadt, Sir», meinte sie.
«O ja – ich bin schon oft hier durchgefahren, wenn ich auch, soviel ich weiß, noch nie hier eingekehrt bin. Sieht sehr ordentlich aus hier – wie ich sehe, haben Sie den alten Bullen neu streichen lassen.»
«Ach so, das haben Sie bemerkt, Sir? Ja, der ist erst gestern fertig geworden. Ein richtiger Maler hat das gemacht. Da kommt am Donnerstag ein Herr hier rein und sagt zu George: ‹Herr Wirt›, sagte er, ‹Ihr Schild könnte mal ’n bißchen Farbe vertragen. Wenn ich Ihnen einen schönen neuen Bullen male, krieg ich dann ein billiges Zimmer?› Also, George hat ja gar nicht gewußt, was er denken soll, aber da hat dieser Herr gesagt: ‹Passen Sie mal auf›, hat er gesagt, ‹ich mache Ihnen ein faires Angebot. Hier ist mein Geld. Sie geben mir Kost und Logis, und ich male einen Bullen, so gut ich kann, und wenn er fertig ist und Ihnen gefällt, lassen Sie mir von der Rechnung nach, soviel Sie wollen.› Auf der Walz hat er gesagt, daß er ist, und so eine kleine Kiste mit lauter Farben drin hat er bei sich gehabt, daran haben wir gesehen, daß er ein Künstler war.»
«Ulkig», fand der Motorist. «Hatte er Gepäck bei sich?»
«So was wie ’ne kleine Tasche. Nicht viel. Aber daß er ein Herr war, das konnte man sehen. Na ja, und George hat nicht gewußt, was er denken sollte.»
Nach allem, was der Reisende bisher von George gesehen hatte, kam ihm das sehr wahrscheinlich vor. George hatte so etwas unbeirrbar Würdevolles an sich, was den Gedanken nahelegte, daß er sich ungern aus der Ruhe bringen ließ.
Doch dann hatte der geheimnisvolle Künstler mit einem Stückchen Kohle einen Bullen auf die Rückseite eines Briefumschlags gemalt, so wild, so feurig und voller Lebenskraft, daß er Georges agrarische Instinkte über die Maßen stark ansprach. Nach kurzer Diskussion war man sich handelseinig. Der alte Bulle wurde heruntergeholt und die Farben ausgepackt. Am Donnerstag war der Bulle auf der einen Seite des Schildes in Erscheinung getreten, Kopf gesenkt und Schwanz erhoben, mit dampfenden Nüstern, und der Künstler hatte dazu erklärt, dies gebe die Stimmung des hungrigen Reisenden wieder, der nach Futter brülle. Am Freitag entstand auf der anderen Seite des Schildes ein zweiter
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