Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
Unterwegs bin ich ein paar Schafen, Kühen und Pferdefuhrwerken begegnet, und schließlich hat mich dann einer mit einem Lastwagen überholt. Er hat mich bis New Galloway mitgenommen, und da hab ich dann auch etwas zu essen bekommen.»
«Um wieviel Uhr war das?» fragte Wimsey schnell.
«Also, das muß schon so gegen drei gewesen sein. Dann hab ich überlegt, was ich mit mir anfangen sollte. Ich hatte ungefähr 10 Pfund in der Tasche und wußte nur eines: daß ich nicht nach Hause wollte. Ich war erledigt. Fertig. Ich wollte herumzigeunern. Dann hab ich einen leeren Lastwagen gesehen, auf dem der Name einer Glasgower Firma stand, und hab mit dem Fahrer verhandelt, daß er mich nach Dumfries mitnahm. In diese Richtung fuhr er nämlich.»
«Wie hieß diese Firma?»
«Wie? Äh – das weiß ich nicht. Waren jedenfalls zwei nette Kerle in dem Wagen. Wir haben uns über Fische unterhalten.»
«Wo hat man Sie abgesetzt?»
«Kurz bevor wir nach Dumfries kamen. Sehen Sie, ich wollte ein bißchen nachdenken. Die Frage war, ob ich dort in den Zug steigen oder in eine Kneipe gehen sollte. Ich hatte Angst, am Bahnhof irgendwelchen Leuten über den Weg zu laufen. Außerdem hätten mich einige von den Eisenbahnern dort gekannt. Ich komme oft nach Dumfries. Das wäre auch das Problem bei dem Gasthaus gewesen … Ich weiß nicht, ob ich Ihnen erklären kann, was in mir vorging. Es war, als ob ich vor irgend etwas davongelaufen wäre und Angst gehabt hätte – nun, eingefangen zu werden. Ich meine, wenn ich jemanden getroffen hätte, der mich kannte, hätte ich mir eine Ausrede ausdenken müssen, etwas mit Fischen oder Malen, damit es möglichst natürlich geklungen hätte, und dann wäre ich nach Hause gefahren. Nicht wahr, es wäre doch nicht mehr dasselbe gewesen, wenn ich mir erst ein raffiniertes Täuschungsmanöver hätte ausdenken müssen. Man ist nicht mehr frei, wenn man lügen muß, um zu entkommen. Das ist es nicht wert. Ich kann Ihnen das unmöglich begreiflich machen.»
«Warum nicht?» meinte Wimsey. «Es wäre so, wie wenn man sich einen Talmiring für die Wochenendehe kauft.»
«Ja – genauso spießig, als wenn’s 22 Karat wären. Und sich ins Gästebuch eintragen und überlegen, ob’s der Portier einem wohl glaubt. Wimsey, Sie sind reich, und nichts kann Sie davon abhalten, zu tun, was Sie wollen. Warum geben Sie sich die Mühe, anständig zu sein?»
«Eben weil mich nichts davon abhält, zu tun, was ich will, vermute ich. Da macht’s mir dann Spaß.»
«Das weiß ich», sagte Farren, indem er ihn fragend von oben bis unten musterte. «Es ist komisch. Sie erwecken die Illusion der Freiheit. Liegt das am Geld? Oder daran, daß Sie ledig sind? Aber es gibt doch genug unverheiratete Männer, die nicht –»
«Kommen wir nicht ein bißchen vom eigentlichen Thema ab?»
«Vielleicht. Also – ich bin in eine kleine Pinte gegangen – ein winziges Ding – und hab an der Theke einen getrunken. Da war so ein junger Bursche mit Motorrad und Seitenwagen, der sagte, er fahre durch Carlisle. Da ist mir eine Idee gekommen. Ich hab ihn gefragt, ob er mich mitnehme, und er hat ja gesagt. War ein netter Kerl, der keine Fragen stellte.»
«Wie hieß er?»
«Das hab ich ihn nicht gefragt und er mich auch nicht. Ich hab ihm erzählt, ich sei auf einer Wanderung und meine Sachen warteten in Carlisle auf mich. Es schien ihm aber auch egal zu sein. Ich bin noch nie einem vernünftigeren Menschen begegnet.»
«Was war er von Beruf?»
«Soviel ich verstanden habe, hat er etwas mit Gebrauchtwagenhandel zu tun und hatte dieses Motorrad für irgendwas in Zahlung genommen. Ich wüßte das auch nicht, wenn er sich nicht dafür entschuldigt hätte, daß der technische Zustand zu wünschen übrigließe. Unterwegs ist dann was kaputtgegangen, und ich mußte ihm mit einer Taschenlampe leuchten, während er es reparierte. Außer Zündkerzen und dergleichen schien er nichts weiter im Kopf zu haben. Viel geredet hat er nicht, nur gesagt, daß er schon 36 Stunden unterwegs sei, aber deswegen brauche ich mir keine Sorgen zu machen, er könne auch noch im Schlaf fahren.»
Wimsey nickte. Er kannte die Heloten des Gebrauchtwagenhandels. Finstere, schweigsame, zynische Männer, zu jeder Stunde und bei jedem Wetter unterwegs und an Enttäuschungen und Katastrophen gewöhnt. Gewöhnt auch, ihre Klapperkisten schnell an den Kunden zu bringen und zu verschwinden, bevor er eine unangenehme Entdeckung machte; mit ihren Wundertüten aus altem
Weitere Kostenlose Bücher