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Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde

Titel: Wimsey 08- Zur fraglichen Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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erzählt. So aber hätte dies doch mißverstanden werden können. Außerdem handelte es sich wahrscheinlich sowieso nur um einen ganz gewöhnlichen Selbstmord, der seiner Aufmerksamkeit gar nicht wert war. Der Fall war nicht annähernd so interessant und verzwickt wie zum Beispiel die Schlüsselsituation in Das Geheimnis des Füllfederhalters. In dieser fesselnden Geschichte beging der Bösewicht gerade ein Verbrechen in Edinburgh, während er gleichzeitig ein geniales Alibi konstruierte, in dem eine Dampfjacht, ein Rundfunkzeitsignal, fünf Uhren und die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit eine Rolle spielten. (Der Herr mit der durchschnittenen Kehle war offenbar aus Richtung Wilvercombe gekommen. Über die Straße? Mit dem Zug? War er von Darley Halt aus zu Fuß gegangen? Wenn nicht, wer hatte ihn hingebracht?) Sie mußte sich aber jetzt wirklich auf dieses Alibi konzentrieren. Die Rathausuhr war das eigentliche Problem. Wie konnte man sie verstellen? Und verstellt werden mußte sie, denn das ganze Alibi hing davon ab, daß man sie im richtigen Augenblick Mitternacht schlagen hörte. Konnte man den Bediensteten, der sich um die Uhr zu kümmern hatte, zum Komplizen machen? Wer war für Rathausuhren zuständig? (Warum Handschuhe? Und ob sie selbst Fingerabdrücke auf dem Rasiermesser hinterlassen hatte?) Würde sie am Ende nach Edinburgh fahren müssen? Vielleicht gab’s da gar kein Rathaus und keine Uhr. Eine Kirchturmuhr täte es natürlich auch. Aber Kirchturmuhren und Leichen in Glockenstuben waren in letzter Zeit ein wenig überstrapaziert worden. (Komisch, die Sache mit diesem Mr. Perkins. Wenn es am Ende doch ein Mord war, könnte der Mörder bis zu irgendeinem Punkt durchs Wasser gegangen sein? Vielleicht hätte sie direkt am Strand und nicht die Küstenstraße entlanggehen sollen. Aber das kam jetzt ohnehin zu spät.) Und sie hatte sich noch nicht genug um die Geschwindigkeit der Motorjacht gekümmert. Solche Dinge hatte man einfach zu wissen. Lord Peter wüßte es natürlich; er war sicher schon mit allen möglichen Motorjachten gefahren. Es mußte doch schön sein, so richtig reich zu sein. Wer Lord Peter heiratete, wäre natürlich reich. Und unterhaltsam war er auch. Daß ein Zusammenleben mit ihm langweilig werden könnte, würde wohl niemand behaupten. Aber das Dumme war, daß man nie wissen konnte, wie sich’s mit jemandem lebte, solange man nicht mit ihm lebte. Es lohnte sich nicht. Auch nicht der Motorjachten wegen. Eine Schriftstellerin konnte ja nun nicht jeden heiraten, der ihr irgendwelche Spezialkenntnisse vermitteln konnte. Harriet vergnügte sich beim Kaffee damit, sich die Karriere einer amerikanischen Kriminalschriftstellerin auszumalen, die für jedes neue Buch eine neue Ehe einging. Für ein Buch über Gifte würde sie einen Chemiker heiraten; für ein Buch, das mit einem Testament zu tun hatte, einen Rechtsanwalt; für einen Mord durch Erdrosseln – nun, natürlich einen Henker. Daraus konnte man etwas machen. Natürlich wäre dieses Buch nur ein Jux. Und die Schurkin würde sich ihres jeweiligen Gatten immer nach derselben Methode entledigen, die sie in dem Buch gerade beschrieb. Zu durchsichtig? Vielleicht.
    Sie verließ den Eßtisch und begab sich in eine Art großen Salon, in dessen Mitte eine Tanzfläche freigeräumt war. Auf einem Podium ganz hinten spielte eine kleine Tanzkapelle, und um die Tanzfläche herum waren kleine Tische gruppiert, an denen die Gäste ihren Kaffee oder Likör trinken konnten, während sie den Tanzenden zusahen. Während sie Platz nahm und sich etwas zu trinken bestellte, begab sich gerade ein Paar – offenbar Berufstänzer – auf die Tanzfläche, um einen Walzer vorzuführen. Der Mann war groß und blond; sein glattes Haar klebte fest am Kopf, und sein Gesicht mit dem breiten, melancholischen Mund hatte ein eigenartiges, ungesundes Aussehen. Die Frau trug ein übertrieben elegantes Kleid aus violetter Seide mit enormem Bausch und gewaltiger Schleppe; ihr Gesicht war eine Maske viktorianischer Geziertheit, während sie sich zu den Klängen der »Schönen blauen Donau« lässig in den Armen ihres Partners drehte. Autres temps, autres mœurs, dachte Harriet. Sie blickte sich im Salon um. Lange Kleider und Kostüme aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts überwogen – sogar Straußenfedern und Fächer. Und selbst die Geziertheit jener Epoche hatte ihre Nachahmer. Aber sie war nur allzu offensichtlich Imitation. Die schlank aussehenden Taillen

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