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Wimsey 09 - Mord braucht Reklame

Wimsey 09 - Mord braucht Reklame

Titel: Wimsey 09 - Mord braucht Reklame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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und die Straße fuhr in einen Tunnel aus Bäumen ein; auf beiden Seiten Wald. Der führende Wagen schwenkte plötzlich in einen Seitenweg ab und durch ein offenes Gatter unter den Bäumen, kurvte tief in den Wald hinein und hielt plötzlich an. Alle Lichter gingen aus.
    Sie trat hart auf die Bremse und sprang hinaus. Über ihr neigten sich die Baumkronen im Wind gegeneinander. Sie lief zu dem anderen Wagen. Er war leer.
    Sie blickte um sich. Bis auf den Lichtkegel aus ihren ei
    genen Scheinwerfern herrschte ringsum ägyptische Finsternis. Zwischen Dornengestrüpp und Gras stolperte sie über ihr langes Kleid. Sie rief:
    «Wo bist du? Wo hast du dich versteckt? Sei doch nicht so albern !»
    Keine Antwort. Aber kurz darauf ertönte von weitem, wie zum Hohn, eine hohe, dünne Flötenmelodie. Kein Schlager, sondern ein Lied, das sie aus Kindertagen kannte:

    Tom, Tom, des Pfeifers Sohn,
Flötete als Junge schon,
Doch er kannte nur dies Lied:
« Seht, was über die Berge zieht –»

    «Das ist doch zu dumm !» sagte Dian.

    Über die hohen Berge geschwind Weht mein Haarschopf fort im Wind.

    Der Ton war so körperlos, als komme er aus dem Nichts. Sie lief vorwärts – der Ton wurde schwächer. Eine kräftige Brombeerranke schlang sich um ihr Bein und zerriß ihr den Seidenstrumpf und den Knöchel darunter. Sie befreite sich gewaltsam und lief in eine neue Richtung. Die Flötentöne verstummten. Plötzlich bekam sie Angst vor den Bäumen und der Dunkelheit. Der Alkohol versagte ihr die beruhigende Stütze, die er ihr bisher gegeben hatte, und an deren Stelle traten Angst und Grauen. Sie dachte an Toms Schnapsflasche und begann sich zum Wagen zurückzukämpfen. Da gingen die Scheinwerfer aus, und sie stand allein zwischen den Bäumen im Wind.
    Die durch Gin und ausgelassene Gesellschaft hervorgerufene Hochstimmung überlebt keine lange Belagerung durch Dunkelheit und Einsamkeit. Sie rannte jetzt verzweifelt drauflos und schrie. Eine Wurzel griff wie eine Hand nach ihrem Knöchel und brachte sie zu Fall, und sie blieb angstvoll liegen. Die dünne Melodie begann von neuem.

    Tom, Tom, des Pfeifers Sohn –

    Sie richtete sich auf.
    «Die Angst, die Wald und Dunkelheit uns einflößen», sagte eine spöttische Stimme irgendwo über ihr, «wurde von den Menschen der Antike panische Angst genannt, oder die Angst vor dem großen Gott Pan. Es ist interessant, zu beobachten, daß der moderne Fortschritt es nicht ganz und gar vermocht hat, sie aus disziplinlosen Köpfen zu verbannen.»
    Dian starrte nach oben. Ihre Augen gewöhnten sich an die Nacht, und in den Ästen über ihr erblickten sie einen blassen, silbernen Schimmer.
    «Was wollen Sie mit diesem idiotischen Benehmen?»
    «In erster Linie Reklame für mich machen. Man muß anders sein. Ich bin immer anders. Und genau aus diesem Grund, meine Verehrteste, bin ich der Verfolgte und nicht der Verfolger. Sie können es billige Effekthascherei nennen, und die ist es auch, aber für ginerweichte Gehirne genau das Richtige. Bei Leuten wie Ihnen, wenn ich das sagen darf, wären feinere Methoden für die Katz.»
    «Ich wünschte, Sie kämen endlich mal da herunter.»
    «Kann schon sein. Aber ich habe es lieber, wenn man zu mir aufblickt.»
    «Sie können nicht die ganze Nacht da oben bleiben. Überlegen Sie mal, was Sie am Morgen für eine komische Figur abgäben.»
    «Schon, aber verglichen mit Ihnen werde ich immer noch aussehen wie aus dem Ei gepellt. Mein Kostüm ist für mitternächtliche akrobatische Übungen im Wald besser geeignet als Ihres.»
    «Wozu machen Sie das überhaupt?»
    «Nur zu meinem Vergnügen – das ist doch der einzige Grund, der für Sie zählt.»
    «Dann bleiben Sie oben und vergnügen Sie sich allein. Ich mache, daß ich nach Hause komme.»
    «Ihr Schuhzeug eignet sich nicht sehr für einen langen Marsch – aber wenn es Ihnen Spaß macht, sollten Sie unbedingt gehen.»
    «Wieso soll ich zu Fuß gehen?»
    «Weil ich die Zündschlüssel beider Autos in der Tasche habe. Eine einfache Vorsichtsmaßnahme, mein lieber Watson. Auch wäre es nicht sehr sinnvoll, wenn Sie versuchten, Ihren Begleiter mit einer Nachricht fortzuschikken. Er liegt selig in Morpheus' Armen – das ist ein sehr alter und mächtiger Gott, wenn auch nicht so alt wie Pan.»
    «Ich hasse Sie», sagte Dian.
    «Dann sind Sie auf dem besten Wege, mich zu lieben – was nur natürlich ist. Wir müssen stets das Höchste lieben, das wir sehen. Können Sie mich sehen?»
    «Nicht sehr gut.

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