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Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Titel: Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Sie sich nicht lieber auf etwas Bequemeres setzen?«
    Langley erklärte, daß er keinen Sitzplatz mehr bekommen hatte. Der Blonde musterte einen Augenblick sein eingefallenes, unrasiertes Gesicht und sagte dann:
    »Wissen Sie was? Kommen Sie mit, und legen Sie sich ein Weilchen in meine Koje. Haben Sie überhaupt schon was gegessen? Nein? Das ist ein Fehler. Kommen Sie mit, ich besorge Ihnen einen Löffel Suppe etcetera. Nehmen Sie mir’s nicht übel, aber Sie sehen aus, als ob Ihnen ein ganzer Schwarm Läuse über die Leber gekrochen wäre. Geht mich natürlich nichts an, aber Sie sollten wenigstens was essen.«
    Langley fühlte sich zu schwach und krank, um zu widersprechen. Er taumelte gehorsam den Gang entlang, bis er in ein Erste-Klasse-Schlafabteil geschoben wurde, wo ein Diener von streng korrektem Aussehen gerade einen malvenfarbenen Seidenpyjama und ein paar silberstielige Bürsten zurechtlegte. »Dieser Herr fühlt sich elend, Bunter«, sagte der Mann mit dem Monokel, »darum habe ich ihn mitgebracht, auf daß er sein müdes Haupt an Eurem Busen bette. Suchen Sie mal die Feldküche auf, die sollen einen Teller Suppe und irgendwas Trinkbares herbringen.«
    »Sehr wohl, Mylord.«
    Langley ließ sich erschöpft aufs Bett fallen, doch als das Essen kam, aß und trank er gierig. Er wußte gar nicht mehr, wann er zuletzt etwas gegessen hatte.
    »Das konnte ich brauchen«, sagte er anschließend. »Es ist wirklich sehr nett von Ihnen. Tut mir leid, daß ich Ihnen so dumm vorkommen muß, aber ich habe einen regelrechten kleinen Schock hinter mir.«
    »Erzählen Sie’s mir«, sagte der Fremde freundlich.
    Der Mann sah nicht sonderlich intelligent aus, schien aber gutmütig und vor allem normal zu sein. Langley fragte sich, wie seine Geschichte für ihn klingen würde.
    »Ich bin für Sie ein wildfremder Mensch«, begann er.
    »Und ich für Sie«, antwortete der Blonde. »Dafür sind Fremde da, daß man Ihnen etwas erzählen kann. Finden sie nicht auch?«
    »Ich möchte gern –«, sagte Langley. »Es ist so, ich bin vor etwas davongelaufen. Es ist merkwürdig – es ist – aber was soll ich Sie damit behelligen?«
    Der Blonde setzte sich neben ihn und legte ihm seine schlanke Hand auf den Arm.
    »Einen Moment«, sagte er. »Sie brauchen mir gar nichts zu erzählen, wenn sie nicht wollen. Aber mein Name ist Wimsey – Lord Peter Wimsey – und ich habe eine Schwäche für Merkwürdigkeiten.«
    Es war Mitte November, als der fremde Mann ins Dorf kam. Er war schmal, blaß und schweigsam; eine große schwarze Kapuze schlackerte ihm ums Gesicht, und er verbreitete von Anfang an eine geheimnisvolle Atmosphäre um sich. Er stieg nicht in der Herberge ab, sondern in einer halbverfallenen Hütte oben in den Bergen, und bei sich hatte er fünf Maultierladungen geheimnisvoller Gepäckstücke sowie einen Diener. Der Diener war fast so unheimlich wie sein Herr; er war Spanier und sprach genug Baskisch, um nötigenfalls den Dolmetscher für seinen Herrn zu spielen; aber er war wortkarg und finster im Aussehen, und das Wenige, das er freiwillig von sich gab, war in höchstem Maße beunruhigend. Sein Herr sei ein Weiser, sagte er; seine ganze Zeit verbringe er mit Bücherlesen; er esse kein Fleisch; er sei aus keinem bekannten Land; er könne die Sprache der Apostel sprechen und habe mit dem seligen Lazarus nach dessen Auferstehung aus dem Grab gesprochen; und wenn er des Abends allein in seiner Stube sitze, kämen die Engel Gottes und unterhielten sich mit ihm in himmlischen Harmonien.
    Das waren furchterregende Neuigkeiten. Die paar Dutzend Dorfbewohner mieden die kleine Hütte, vor allem zur Nachtzeit; und wenn man den blassen Fremden, in seine schwarze Robe gehüllt und mit einem seiner Zauberbücher unterm Arm, den Bergpfad herunterkommen sah, riefen die Frauen ihre Kinder ins Haus und schlugen das Kreuzzeichen.
    Nichtsdestoweniger war es ein Kind, das als erstes die persönliche Bekanntschaft des Magiers machte. Den kleinen Sohn der Witwe Etcheverry, ein Kind von wagemutiger und neugieriger Veranlagung, trieb eines Spätnachmittags die Abenteuerlust in die ungeheiligte Gegend. Zwei Stunden lang blieb er verschollen, zwei Stunden, in denen die Mutter, von Sinnen vor Angst, die Nachbarn um sich versammelte und nach dem Pfarrer schickte, der zu allem Unglück gerade dienstlich in der Stadt war. Plötzlich aber tauchte der Kleine gesund und munter wieder auf und hatte eine wunderliche Geschichte zu erzählen.
    Er hatte sich

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