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Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Titel: Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Bilder. Eines davon kam ihm bekannt vor. Er ging näher heran und erkannte ein Porträt von Alice Wetherall, das er zuletzt in New York gesehen hatte. Sargent hatte es in seiner glücklichsten Stimmung gemalt, und das schöne Wildblumengesicht schien sich ihm mit dem sprühenden Lächeln des Lebens zuzuneigen.
    Plötzlich brach ein Scheit auseinander und fiel funkensprühend auf den Rost. Als ob das kleine Geräusch und das bißchen Licht eine Störung bewirkt hätten, hörte er – oder glaubte zu hören – eine Bewegung aus der Richtung des großen Ohrensessels beim Feuer. Er trat einen Schritt vor, dann hielt er inne. Es war nichts zu sehen, aber ein Geräusch hatte eingesetzt: ein tiefer, tierischer Laut, der sehr unangenehm anzuhören war. Er stammte weder von einem Hund noch von einer Katze, dessen war Langley sicher. Es war eine Art Schmatzen und Schlabbern, das ihm merkwürdig abstoßend vorkam. Es endete in einer Folge von Grunzern und Quietschern, und dann war wieder Stille.
    Langley näherte sich rückwärts der Tür. Er war sicher, daß sich etwas mit ihm in diesem Raum befand, dem er nicht begegnen mochte. Ein widersinniger Drang, auf und davon zu rennen, packte ihn. Doch in dem Moment trat Martha mit einer großen, altmodischen Lampe ein, und hinter ihr kam Wetherall und begrüßte ihn fröhlich.
    Der vertraute amerikanische Tonfall brach den Bann des Unbehagens, der sich auf Langley gelegt hatte. Er streckte herzlich die Hand aus.
    »Daß ich Ihnen hier begegne!« sagte er.
    »Ja, die Welt ist klein«, antwortete Wetherall. »Es klingt leider sehr nach einer abgedroschenen Floskel, aber ich freue mich wirklich, Sie wiederzusehen«, fügte er mit Nachdruck hinzu.
    Die alte Frau hatte die Lampe auf den Tisch gestellt und fragte nun, ob sie das Abendessen auftragen solle. Wetherall bejahte in einer Mischung aus Spanisch und Baskisch, die sie ganz gut zu verstehen schien.
    »Ich wußte gar nicht, daß Sie Baskisch studiert haben«, sagte Langley.
    »Ach, das schnappt man so auf. Die Leute hier sprechen ja nichts anderes. Aber Baskisch ist natürlich Ihr Spezialgebiet, nicht?«
    »Oh, ja.«
    »Die haben Ihnen sicher eine Menge komischer Sachen über uns erzählt. Aber davon später. Es ist mir gelungen, das Haus hier einigermaßen komfortabel zu machen, wobei ich durchaus noch die eine oder andere moderne Annehmlichkeit brauchen könnte. Aber uns ist es so ganz recht.«
    Langley benutzte die Gelegenheit, eine vorsichtige Frage nach Mrs. Wetherall anzubringen.
    »Alice? Ach ja, das habe ich beinahe vergessen – Sie haben sie ja noch gar nicht gesehen.« Wetherall sah ihn scharf an, ein halbes Lächeln auf den Lippen. »Ich hätte Sie warnen sollen. Sie waren doch – damals ein ziemlich großer Verehrer meiner Frau.«
    »Wie alle«, sagte Langley.
    »Zweifellos. War ja auch nicht sehr verwunderlich, nicht? Da kommt das Essen. Stellen Sie es hin, Martha. Wir werden dann läuten, wenn wir fertig sind.«
    Die alte Frau stellte eine Schüssel auf den Tisch, der mit Gläsern und Silber hübsch gedeckt war, und ging hinaus. Wetherall ging zum Kamin hinüber, wobei er den Blick ganz merkwürdig fest auf Langley geheftet hielt. Dann sprach er, an den Sessel gewandt:
    »Alice! Steh auf, Liebes, und begrüße einen alten Verehrer von dir. Komm her. Es wird euch beiden Vergnügen machen. Steh auf.«
    Etwas bewegte sich wimmernd zwischen den Kissen. Wetherall beugte sich mit fast übertriebener Höflichkeit hinab und half diesem Etwas auf die Füße. Einen Augenblick später stand es Langley im Schein der Lampe gegenüber.
    Es trug ein kostbares Kleid aus Goldsatin und Spitzen, das ihm zerknittert und schlampig um den dicken, schlaffen Körper hing. Das Gesicht war weiß und aufgedunsen, der Blick leer, der Mund stand offen, und kleine Speichelfäden hingen von den schlaffen Mundwinkeln. Ein dürrer Kranz rostfarbener Haare klebte an dem halbkahlen Schädel wie die toten Büschel am Kopf einer Mumie.
    »Komm, Liebes«, sagte Wetherall. »Sag Mr. Langley guten Tag.«
    Die Kreatur blinzelte und gab ein paar unmenschliche Laute von sich. Wetherall schob ihr die Hand unter den Arm, und sie streckte langsam eine leblose Pfote aus.
    »Da, bitte, sie erkennt Sie. Das habe ich mir gedacht. Gib ihm die Hand, Liebes.«
    Mit einem Gefühl des Ekels ergriff Langley die schlaffe Hand. Sie war feucht und fühlte sich rauh an und machte keinen Versuch, den Druck der seinen zu erwidern. Er ließ los. Die Hand fuchtelte einen

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