Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
nah an des Zauberers Haus herangeschlichen (so ein schlimmer, mutiger Bengel, hat man so was schon gehört?) und war auf einen Baum gestiegen, um den Fremden zu bespitzeln (Jesus-Maria!). Und er sah ein Licht im Fenster und sonderbare Gestalten sich umherbewegen und dunkle Schatten durchs Zimmer wandern. Und dann ertönten so hinreißend schöne musikalische Klänge, daß es ihm fast das Herz aus dem Leib riß, als ob alle Sterne zugleich miteinander gesungen hätten (o mein süßer Schatz! Der Zauberer hat ihm das Herz gestohlen, o weh!). Dann ging die Hüttentür auf, und der Zauberer kam heraus, und mit ihm eine große Zahl von Hausgeistern. Der eine hatte Flügel wie ein Seraph und redete in einer unbekannten Sprache, und ein anderer sah aus wie ein Zwerg, der einem nur bis zum Knie reichte, mit schwarzem Gesicht und weißem Bart, und der saß auf der Schulter des Zauberers und flüsterte ihm ins Ohr. Und die himmlische Musik spielte lauter und lauter. Und der Zauberer hatte einen schwachen Flammenschein um den Kopf herum, genau wie die Heiligen auf den Bildern (Heiliger Jakob von Compostella, sei uns gnädig! Und was dann?). Nun, und dann hatte er, der Junge, große Angst bekommen und sich gewünscht, er wäre nicht hergekommen, aber der Zwergengeist hatte ihn gesehen und war in den Baum gesprungen und ihm nachgeklettert – so schnell! Und er hatte versucht, höher hinaufzuklettern, und war ausgeglitten und hinuntergefallen (o, dieser arme, böse, tapfere, schlimme Junge!).
Dann war der Zauberer gekommen und hatte ihn aufgehoben und fremdartige Worte zu ihm gesagt, und alle Schmerzen waren von den Stellen gewichen, an denen er sich weh getan hatte (Wunderbar! Wunderbar!), und dann hatte er ihn in sein Haus getragen. Und drinnen war es gewesen wie im Himmel, alles in goldenem Glanz. Und die Hausgeister hatten am Feuer gesessen, neun an der Zahl, und die Musik hatte zu spielen aufgehört. Aber der Diener des Zauberers hatte ihm herrliche Früchte in einer silbernen Schale gebracht, wie die Früchte des Paradieses so köstlich, und er hatte sie gegessen und einen fremden, starken Trank aus einem mit roten und blauen Juwelen besetzten Becher getrunken. O ja – und ein großes Kruzifix hatte an der Wand gehangen, ganz groß, ganz groß, mit einer brennenden Lampe davor, der ein süßer Duft entströmte, wie in der Kirche zu Ostern.
(Ein Kruzifix? Wie sonderbar! Vielleicht war der Zauberer gar nicht so böse. Und was dann?)
Als nächstes hatte der Diener des Zauberers zu ihm gesagt, er solle keine Angst haben, und hatte ihn nach seinem Namen und Alter gefragt und ob er das Vaterunser aufsagen könne. Da hatte er ein Vaterunser und ein Ave Maria aufgesagt und einen Teil vom Credo, aber das Credo war lang, und er hatte vergessen, wie es nach ascendit in coelum weiterging. Da hatte der Zauberer ihm geholfen, und sie hatten es zusammen zu Ende aufgesagt. Und der Zauberer hatte die heiligen Namen ohne zu Stocken und in der richtigen Reihenfolge aufgesagt, soweit er das beurteilen konnte. Und dann hatte der Diener ihn weiter nach ihm und seiner Familie ausgefragt, und er hatte ihm vom Tod der schwarzen Ziege und vom Liebsten seiner Schwester erzählt, der sie verlassen hatte, weil sie nicht soviel Geld hatte wie die Tochter des Kaufmanns. Dann hatten der Zauberer und sein Diener miteinander gesprochen und gelacht, und der Diener hatte gesagt: »Mein Herr läßt deiner Schwester folgende Botschaft ausrichten: Wo keine Liebe ist, ist kein Reichtum, aber wer Mut hat, wird ohne Mühe Gold empfangen.« Damit hatte der Zauberer die Hand in die Luft gestreckt und aus ihr – ja, aus der leeren Luft, wirklich und wahrhaftig! – eins, zwei, drei, vier, fünf Goldstücke geholt und ihm gegeben. Und er hatte nicht gewagt, sie anzunehmen, bevor er über jedem das Kreuzzeichen gemacht hatte, und als sie daraufhin nicht verschwanden oder sich in zischende Schlangen verwandelten, hatte er sie genommen, und bitte, da waren sie!
So wurden denn die Goldstücke mit Angst und Zittern untersucht und bewundert und – auf Großvaters Rat – der besseren Reinigung wegen zuerst mit Weihwasser benetzt und dann unter die Füße der Heiligen Jungfrau gelegt. Und als sie andern Morgens immer noch da waren, zeigte man sie dem Pfarrer, der verspätet und aufgeregt dem gestrigen Ruf folgte und die Goldstücke für echte spanische Münze erklärte, woraufhin eines davon der Kirche gestiftet wurde, um den Himmel zu versöhnen, so daß nun die
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