Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
Sie könnten Ihren Spruch noch erweitern: ›Auch Studiosus sagt man nicht, wer’s doch tut, ist ein dummer Wicht.‹ Entschuldigung, das ist ein Reim-dich-oder-ich-freß-dich, aber ›Studiosus‹ hat nun mal so etwas Antiquiertes.«
»Genau wie der Portwein, den ich empfehle«, versetzte Mr. Egg strahlend. »Trotzdem muß man im Verkaufsgespräch natürlich immer auf der Höhe der Zeit sein. Ein bißchen flott auch, aber eben nicht vulgär. In meiner Branche legt man großen Wert auf Etikette. Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre Hilfe, meine Herren. Das ist mein erster Besuch in Oxford. Könnten Sie mir noch sagen, wo ich das Pentecost-College finde? Ich habe nämlich ein Empfehlungsschreiben an einen Herrn dort.«
»Pentecost?« meinte Radeott. »An Ihrer Stelle würde ich aber nicht ausgerechnet da anfangen.«
»Nein?« fragte Mr. Egg, der irgendeine undurchschaubare Vorschrift des Universitätskodex vermutete. »Warum nicht?«
»Weil ich«, antwortete Radeott unvermittelt, »soeben von unserm unerquicklichen Kommilitonen Fiathers erfahren habe, daß irgendein öffentlicher Wohltäter den Rektor ermordet hat, und ich glaube nicht, daß der Quästor sich unter diesen Umständen imstande sehen wird, den Vorzügen diverser Weinsorten die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen.«
»Den Rektor ermordet?« echote Mr. Egg.
»Erschlagen – mit einem Ziegelstein, der in einen Sokken gewickelt war, höre ich – auf dem Weg von seiner allzu bekannten Vorlesung über Piatos Gebrauch der Enklitika zu seiner Wohnung. Natürlich ist jetzt die ganze Schule der Literae Humaniores verdächtig, aber ich persönlich glaube, daß Fiathers es selbst war. Sie haben ja vielleicht gehört, wie er uns aufgeklärt hat, das Gericht komme über den, der Böses tut, und daß er uns zu einer Bet- und Bußstunde in den Vorlesungssaal Süd eingeladen hat. Solche Leute sind gefährlich.«
»Was hat der Rektor des Pentecost denn Böses getan?«
»Er hat ein paar gelehrte Werke verfaßt, in denen er die Existenz einer Vorsehung widerlegt, und ich muß sagen, daß ich ihn in Übereinstimmung mit der gesamten Pentecost-Gemeinde für eine der größten Fehlleistungen der Natur halte. Trotzdem, ihn mehr oder weniger auf seiner eigenen Schwelle zu erschlagen, finde ich etwas geschmacklos. Das bringt Unruhe unter die Examenskandidaten, die nächste Woche ihrer Heimsuchung entgegensehen. Und es bedeutet, daß der Gedenkball ausfällt. Außerdem ist die Polizei eingeschaltet worden, und das wird mit Sicherheit den Lehrkörper in Aufruhr versetzen, weil die guten Leute auf dem Rasen herumtrampeln werden. Na ja, was geschehn ist, kann man nicht ungeschehn machen. Wenden wir uns einem erfreulicheren Thema zu. Wenn ich Sie recht verstanden habe, bieten Sie Portweine feil. Auf der anderen Seite habe ich selbst erst kürzlich einen herben Verlust erlitten, als eine Horde Vandalen mich in meiner Bude überfallen und mein letztes Dutzend Cockburn 1904 durch ihre ledrigen, unempfindlichen Kehlen gejagt hat. Wenn Sie Lust haben, mit mir ins Pentecost zu kommen, Mr. Egg, und Ihre geistigen Proben gleich mitbringen, könnten wir vielleicht ins Geschäft kommen.«
Mr. Egg erklärte sich hocherfreut, Mr. Radeotts Angebot anzunehmen, und wenig später trottete er auf den athletischen Fersen seines Führers über den Kornmarkt. An der Ecke Broad Street trennte der zweite Student sich von ihnen, während sie am Balliol und Trinity, die in der Junisonne dösten, vorbeigingen und kurz darauf den Haupteingang des Pentecost erreichten.
Gerade in diesem Moment kam ein kleiner älterer Mann in einem leichten Mantel, den Talar eines Master of Arts über dem Arm, kurzsichtig von der Bodleiana her über die Straße geschlendert. Ein vorüberfahrendes Auto hätte ihn um ein Haar in die Ewigkeit befördert, hätte Radeott nicht einen langen Arm ausgestreckt und ihn auf den sicheren Gehweg gezogen.
»Vorsicht, Mr. Temple!« sagte Radeott. »Nicht daß Sie unser nächstes Mordopfer werden!«
»Mordopfer?« fragte Mr. Temple blinzelnd. »Ach so, Sie meinen das Auto. Aber das hab ich doch gesehen. Ganz deutlich. Doch, doch. Aber warum ›nächstes‹? Ist denn sonst jemand ermordet worden?«
»Nur der Rektor des Pentecost«, sagte Radeott, wobei er Mr. Egg in den Arm kniff.
»Der Rektor? Dr. Greeby? Was Sie nicht sagen! Ermordet? O Gott! Armer Greeby! Das bringt mir meine ganzen Pläne für heute durcheinander.« Seine blaßblauen Augen wurden unruhig, und ein
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