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Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Titel: Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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eines Weckers. Man konnte natürlich auf den Gang hinausgehen und nicht mehr wiederkommen, doch wäre das ein Eingeständnis der Niederlage gewesen. Pender ließ Mord im Pfarrhaus langsam sinken und begegnete wieder dem Blick des andern.
    »Wird’s Ihnen langweilig?« fragte der Mann.

    »Nachtfahrten sind immer etwas ermüdend«, antwortete Pender halb erleichtert, halb widerstrebend. »Möchten Sie ein Buch?«
    Er nahm Wenn Heftklammern reden aus seiner Aktentasche und hielt es dem andern hoffnungsvoll hin. Der aber warf nur einen Blick auf den Titel und schüttelte den Kopf.
    »Vielen Dank«, sagte er, »aber ich lese nie Kriminalromane. Sie sind so – unzulänglich, finden Sie nicht?«
    »Zugegeben, das Menschliche, die Charakterzeichnung kommt ein bißchen zu kurz darin«, antwortete Pender, »aber für eine Eisenbahnfahrt –«
    »Das meine ich nicht«, sagte der andere. »Das Menschliche interessiert mich weniger. Aber die Mörder sind alle so inkompetent – sie langweilen mich nur.«
    »Nun, ich weiß nicht«, erwiderte Pender. »Für gewöhnlich sind sie jedenfalls um einiges raffinierter und findiger als wirkliche Mörder.«
    »Als die wirklichen Mörder, die erwischt werden, das ist richtig«, räumte der andere ein.
    »Selbst von denen hat sich der eine oder andere schon ganz schön schlau angestellt, bevor er geschnappt wurde«, widersprach Pender. »Zum Beispiel dieser Crippen; wenn er nicht den Kopf verloren und sich nach Amerika davongemacht hätte, wäre er womöglich nie erwischt worden. George Joseph Smith hat mindestens zwei Bräute mit Erfolg um die Ecke gebracht, ehe das Schicksal und die News of the World einschritten.«
    »Schon«, meinte der andere, »aber sehen Sie sich doch mal an, wie plump das alles war; diese Umstände, die Lügengespinste, das ganze Drumherum. Völlig unnötig.«
    »Na, hören Sie mal!« begehrte Pender auf. »Sie dürfen nun nicht meinen, einen Mord zu begehen und unentdeckt zu bleiben sei ein Kinderspiel.«
    »Ach!« machte der andere. »Meinen Sie das etwa nicht?«
    Pender wartete auf die fällige Erläuterung zu dieser Frage, aber sie kam nicht. Der Mann lehnte sich zurück und sah mit seinem geheimnisvollen Lächeln an die Abteildecke. Offenbar hielt er es nicht für lohnenswert, die Unterhaltung fortzusetzen. Pender nahm sein Buch wieder zur Hand, doch er fühlte seine Aufmerksamkeit unwiderstehlich auf die Hände seines Mitreisenden gelenkt. Sie waren weiß, die Finger auffallend lang. Er beobachtete, wie sie leicht auf das Knie ihres Besitzers trommelten – dann blätterte er energisch eine Seite weiter – legte das Buch dann von neuem hin und fragte:
    »Also, wenn das so leicht ist, wie würden Sie denn bei einem Mord vorgehen?«
    »Ich?« fragte der andere zurück. Das von den Brillengläsern reflektierte Licht ließ seine Augen für Pender vollkommen leer erscheinen, aber seine Stimme klang leicht belustigt. »Das ist etwas ganz anderes. Ich brauchte da nicht lange zu überlegen.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ich zufällig weiß, wie man so was macht.«
    »Ach, wirklich?« gab Pender aufsässig zurück.
    »Ja. Es ist überhaupt nichts dabei.«
    »Wie können Sie da so sicher sein? Sie haben es doch wohl noch nicht versucht?«
    »Das hat mit Versuchen nichts zu tun«, sagte der Mann.
    »Bei meiner Methode gibt es gar nichts auszutüfteln. Das ist ja gerade das Schöne daran.«
    »So etwas sagt sich leicht«, versetzte Pender. »Aber worin besteht denn Ihre prächtige Methode?«
    »Sie erwarten doch nicht, daß ich Ihnen das sage«, gab der andere zurück, wobei sein Blick sich wieder fest auf Penders Augen heftete. »Das könnte gefährlich sein. Sie sehen zwar harmlos aus, aber wer hätte harmloser aussehen können als Crippen? Man darf niemandem die absolute Herrschaft über anderer Leute Leben anvertrauen.«
    »Quatsch!« rief Pender. »Es würde mir im Traum nicht einfallen, jemanden zu ermorden.«
    »O doch«, entgegnete der andere, »nämlich dann, wenn Sie es für wirklich ungefährlich hielten. Das ginge jedem so. Warum bauen Kirche und Staat denn alle diese künstlichen Barrieren um den Mord auf? Nur weil er jedermanns Verbrechen ist, und das Natürlichste auf der Welt.«
    »Das ist doch lächerlich!« rief Pender erbost.
    »Finden Sie das wirklich? Sagen würden das die meisten Menschen. Aber ich würde niemandem trauen. Jedenfalls nicht, solange man Thanatolsulfat in jeder Apotheke für zwei Pence kaufen kann.«
    »Tha – was für ein

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