Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
Jüngling mit dem Korb, der eine Viertelstunde nach ihnen auf dem Schauplatz erschienen war. Und er erinnerte sich an noch etwas – ein leises Miauen, das an sein Ohr gedrungen war, als er in der Diele gestanden und auf Jean gewartet hatte, während sie sich von ihrem Maher-Schalal-Haschbas verabschiedete, und an den kummervollen Ausdruck in Mrs. Proctors Gesicht, als sie Jean fragte, ob sie ihren Kater sehr lieb habe. Es wollte ihm scheinen, daß Mr. Proctor junior die Katzen zu einem recht finsteren Zweck gesammelt hatte, und zwar aus allen Ecken Londons. Aus Ecken, die so weit wie möglich auseinander lagen – oder wozu hätte er sich sonst die Namen und Adressen so sorgfältig notiert?
»Woran ist der alte Herr denn gestorben?« fragte er.
»Hm, ja«, meinte Mrs. George, »das war wohl ein Herzversagen, zumindest sagt das der Arzt. Dienstag voriger Woche ist er gestorben, der Arme, und Mrs. Crabbe, die ihn aufgebahrt hat, die hat gesagt, er hat einen furchtbar entsetzten Ausdruck im Gesicht gehabt, aber der Doktor hat gemeint, das ist nichts Ungewöhnliches bei dieser Krankheit. Aber was der Doktor nicht gesehen hat, weil er zuviel zu tun hatte, um herzukommen, das waren diese furchtbaren Kratzer an Gesicht und Armen. Er muß sich in seiner Todesqual regelrecht zerfleischt haben – mein Gott, mein Gott! Aber bitte sehr! Alle Welt wußte ja, daß er jeden Augenblick weg sein konnte, wie wenn man eine Kerze auspustet.«
»Das weiß ich, Sally«, sagte ihr Mann. »Aber was ist mit diesen Kratzern an der Schlafzimmertür? Erzähl mir nicht, die hätte er auch gemacht. Oder wenn er’s war, warum hat ihn dann keiner gehört und ist ihm zu Hilfe gekommen? Mr. Timbs – das ist der Hauswirt – hat ja gut reden, daß hier Landstreicher gehaust haben müssen, nachdem die Proctors ausgezogen waren, und daß er uns hier reinsetzt, damit wir nach dem rechten sehen, aber wozu sollten Landstreicher eigentlich so sinnlos was kaputt machen?«
»Ich sage, diese Proctors waren ein herzloses Volk«, erklärte Mrs. George. »Wahrscheinlich haben sie einfach weitergeschnarcht und ihren Onkel ganz allein sterben lassen. Und hat sich nicht auch der Rechtsanwalt darüber aufgeregt? Kommt am Morgen her, um das Testament des alten Herrn aufzusetzen, und da ist er plötzlich verstorben. Und wo sie schließlich sein ganzes Geld gekriegt haben, hätte man doch erwarten können, daß sie ihm eine schönere Beerdigung spendiert hätten. Niederträchtig nenne ich das – so gut wie keine Blumen – nur einen Kranz für eine halbe Guinea – und kein Eichenholz – nur Rüster und ganz schäbige Griffe. So ein Schund. Man sollte meinen, daß sie sich was schämen.«
Mr. Egg schwieg. Er war kein Mann von starker Einbildungskraft, aber im Geiste sah er ein grausiges Bild. Er sah einen alten, kranken Mann schlafend im Bett liegen, sah Hände, die leise die Schlafzimmertür öffneten und Säcke über Säcke hineinschleiften, Säcke, in denen es zappelte und miaute. Er sah die Säcke offen auf dem Boden liegen, und die Tür ging leise zu und wurde von außen abgeschlossen. Und dann sah er im schummrigen Schein der Nachtlampe schattenhafte Gestalten, die im Zimmer hin und her huschten – schwarze, getigerte, rote – auf und nieder, auf lautlosen Pfoten umherschleichend, auf samtenen Füßen über Tische und Stühle springend. Und dann – mitten auf dem Bett – ein großer roter Kater mit bernsteingelben Augen – und einen Schläfer, der mit einem Schrei erwachte – und danach ein Alptraum des Entsetzens und Ekels hinter zugeschlossener, erbarmungsloser Tür. Ein alter, kranker Mann, der umhertaumelte und keuchend nach Luft rang, nach den schattenhaften Schrekkensgestalten schlug, die ihn verfolgten und flohen – und den letzten berstenden Schmerz am Herzen, als ihn gnädig der Tod ereilte. Dann nichts mehr, nichts als das Miauen der Katzen und das Kratzen an der Tür, und draußen der Lauscher mit dem Ohr am Schlüsselloch.
Mr. Egg wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Die Bilder, die er sah, gefielen ihm nicht. Aber er sah noch mehr, sah den Mörder am Morgen durch die Tür huschen – rasch seine unschuldigen Komplizen einsammeln, ehe Mrs. Crabbe kam – wissend, daß es schnell geschehen und die Leiche ordentlich hergerichtet werden mußte – und daß Leute, die ins Haus kamen, sich nicht über rätselhaftes Miauen wundern durften. Die Katzen einfach freizulassen, wäre nicht genug, denn sie würden sich womöglich ums
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