Wimsey 11 - Der Glocken Schlag
fließen, der auch so schon genug zu tun hat. Wenn sie aber offen bleibt und die Flut stark genug ist, um das Kanalwasser wieder zurückzudrängen, steht oberhalb der Schleuse alles unter Wasser.«
»So ist es, Sir«, sagte der Schleusenwärter grinsend. »Und wenn das Kanalwasser die Flut zurückdrückt, stehen nachher Sie unter Wasser. Kommt ganz drauf an.«
»Dann will ich hoffen, daß Sie hier alles schön zu unsern Gunsten manipulieren«, antwortete Wimsey gutgelaunt. Das Wasser schoß jetzt langsamer durch die immer tiefer sinkenden Schleusentore, die Strudel wurden zahmer, Treibholz und Tang wirbelten träge gegen die Brückenpfeiler. »Wenn Sie das Wasser nur noch hier festhalten könnten, bis wir in Fenchurch sind, das wäre sehr nett.«
»Oh, wir halten hier schon die Stellung, keine Bange«, beruhigte ihn der Mann. »Mit unserer S chleuse ist ja alles in Ord nung.«
Er betonte das »unsere« so sehr, daß Wimsey sofort die Ohren spitzte.
»Wie steht's denn mit der Van-Leyden-Schleuse?«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Weiß ich nicht, Sir, aber ich hab gehört, der alte Joe Massey da unten macht ein ganz schönes Theater wegen seiner alten Tore. Gestern ist ein Herr dagewesen, um sie sich anzusehen – von der Flußaufsicht oder dem Entwässerungsamt oder so, denke ich. Aber jetzt um die Hochwasserzeit, da kann man für die Dinger sowieso nicht viel tun. Vielleicht halten sie, vielleicht nicht. Kommt ganz drauf an.«
»Na, das ist ja lustig«, sagte Wimsey. »Kommen Sie, Bunter. Haben Sie Ihr Testament gemacht? Wir fahren lieber gleich, solange man hier noch durchkommt.«
Der Weg führte diesmal am Südufer des Dreißigfußkanals entlang, auf der nach Fenchurch zu gelegenen Seite. Kanäle und Gräben waren überall randvoll, und stellenweise stand das Wasser auf den durchweichten Feldern, als ob nicht mehr viel fehlte, und sie würden sich zurückverwandeln in die Moore und Sümpfe von einst. Es herrschte kaum Verkehr auf der langen, geraden Straße. Einmal begegnete ihnen ein klappriges Auto, lehmbespritzt und Wasser aus allen Schlaglöchern aufwirbelnd; dann überholten sie ein langsames, mit Mangold beladenes landwirtschaftliches Gefährt, dessen Fahrer sich einen durchnäßten Sack als Regenschutz übergeworfen hatte und taub und blind gegenüber allem anderen Verkehr war; dann wieder schlich ein einsamer Arbeiter, vom Rheumatismus gebeugt, nach Hause und träumte vom Feuer im Kamin und einem Bierchen in der nächsten Kneipe. Die Luft war so regenschwer, daß sie erst beim Überqueren der Froschbrücke die süßen, dumpfen Töne vernahmen, die ihnen anzeigten, daß die Glöckner ihr Weihnachtsläuten übten; mit schmerzlicher, fast unerträglicher Melancholie drang der Gesang durch den strömenden Regen, als riefen die Glocken einer versunkenen Stadt aus den Tiefen des Meeres herauf.
Sie bogen um die Ecke unterhalb des großen grauen Turms und fuhren an der Mauer des Pfarrgartens vorbei. Als sie sich der Zufahrt näherten, scholl ihnen ein wohlbekanntes Hupkonzert entgegen, und Wimsey nahm den Fuß vom Gas, als der Wagen des Pfarrers vorsichtig seine Nase auf die Straße schob. Mr. Venables erkannte sofort den Daimler, hielt seinen Morris mitten auf der Straße an und stellte den Motor ab. Seine Hand winkte ihnen vergnügt durch die Seitenvorhänge zu.
»Da sind Sie ja, da sind Sie ja wieder!« rief er freudig, als Wimsey ausstieg, um ihn zu begrüßen. »Wie schön, daß ich Sie gerade noch hier antreffe. Sie haben mich sicher herauskommen hören. Ich hupe immer, bevor ich mich auf die Straße wage; die Ausfahrt ist so unübersichtlich. Wie geht es Ihnen denn, mein lieber Freund, wie geht es Ihnen? Unterwegs zum Roten Haus, ja? Man freut sich dort schon sehr auf Ihren Besuch. Aber Sie werden hoffentlich recht oft zu uns reinschauen, solange Sie hier sind! Meine Frau und ich werden heute abend noch mit Ihnen essen. Sie wird sich so sehr freuen, Sie wiederzusehen. Ich hab noch zu ihr gesagt, ob ich ihm wohl unterwegs begegne? Ein fürchterliches Wetter, nicht wahr? Ich muß jetzt ganz schnell weg und so ein armes kleines Neugeborenes taufen, gleich hinter der Froschbrücke. Es wird wahrscheinlich nicht überleben, und die Mutter ist auch so furchtbar krank. Ich kann mich darum nicht länger aufhalten, denn wahrscheinlich muß ich das letzte Stück laufen, weil alles so aufgeweicht ist, und das ist fast eine Meile; ich bin ja auch nicht mehr so gut zu Fuß wie früher. Doch, doch, sonst geht
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