Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten
Geist hat Berge – sie gering achten mag, wer niemals dort hing …» «Aber du bist nicht an den Rand des Abgrunds gekommen – meinen Brief hast du nicht geöffnet.» «Ich bin umso vieles besser dran als diese bedauernswerte junge Frau: Ich bin mit dir verheiratet, bin Mutter deiner Söhne, trage deinen Namen, habe mit dir zusammen so großes Glück erlebt – sie wird mit ihrem Liebsten vermutlich nur ein, zwei atemlose Wochen gehabt haben.»
«Wohl wahr», sagte er. «Wie viel Zeit sie wohl tatsächlich miteinander hatten? Vielleicht würde das einiges erklären.»
«Ich muss dir noch etwas erzählen, was komisch ist, Peter. Ich glaube, eines der Fotos auf dem Kamin hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem geheimnisvollen Mike Newcastle.»
«Ach ja? Hm. Ein zweiter Besuch von uns mit zusätzlichen Fragen käme vermutlich nicht sehr gut an.» «Joan Quarley wird uns aufsuchen, glaube ich», sagte Harriet. «Ich hatte das Gefühl, sie will reden.» «Jedenfalls ziehen sie und ihre Mutter offenbar nicht am selben Strang. Die Atmosphäre schien ziemlich angespannt zu sein. Wenn sie wirklich kommt, Harriet, mache ich mich aus dem Staub und überlasse die Angelegenheit dir. Das scheint mir ein Fall für den Britischen Frauenbund zu sein.»
Harriet dachte über diese Bemerkung nach. Es war tatsächlich so: Durchs Leben führte eine breite Schneise, in der sich unterschiedslos alle Frauen auskannten. Mit einer anderen Frau gab es immer etwas zu bereden – die Liebe, Männer, Lebensmittelknappheit, Kinder, die Schwierigkeiten im Haushalt, der Ärger mit dem Personal, das Problem, selbst zum Personal zu gehören … die Liste nahm kein Ende. «Gibt es auch einen Britischen Männerbund?» «Und ob», sagte Peter. «Autos, Pferde und Schusswaffen. Mir ist nicht entgangen, dass du uns für eine weitere Nacht gebucht hast. Was fangen wir mit diesem Nachmittag an? Sollen wir einen Berg erklimmen? Schaun die grünen Auen?»
Als sie zurückkamen, ging Joan Quarley vor dem Gasthof auf und ab. Die Abendluft war angenehm, und es war noch hell. Die junge Frau sprach Harriet an: «Ich dachte. Sie hätten vielleicht Lust, sich die Kirche anzusehen.»
«Geh nur, Harriet», sagte Peter. «Ich habe vor dem Abendessen sowieso noch zu tun.» Und schon war er im Haus verschwunden.
Die beiden Frauen betraten vom Friedhof her die Kirche. Drinnen war die übliche Mischung anzutreffen, Stückwerk, das die stilistischen Entwicklungen der letzten circa fünfhundert fahre dokumentierte, nichts Außergewöhnliches.
Um einen Anfang zu machen, sagte Harriet: «Haben wir nicht einen gemeinsamen Bekannten? Mike Newcastle?»
«Nein, tut mir Leid», gab Joan zurück. «Ich kenne niemanden, der so heißt.»
Sie gingen das Mittelschiff hinunter und fanden sich vor einer prächtigen Gedenktafel für einen elisabethanischen Edelmann wieder. Das Bild stellte ihn umringt von seinen knienden Kindern dar und wurde eingerahmt von den Porträts zweier Ehefrauen. Ein Spruch verkündete:
Schall bleibt vom Namen und vom Streben Rauch, Des Menschen Ruhm löst sich im Elend auf.
«Und manchmal bekommen wir mehr vom Elend zu spüren, manchmal mehr vom Ruhm», zitierte Harriet. Ein weiterer Versuch, ein Gespräch anzuknüpfen. «Wie soll ich Sie anreden?», fragte Joan Quarley unvermittelt. «Lady – und dann?» «Nennen Sie mich einfach Harriet.»
«Harriet, ich frage mich, ob Sie Alan begegnet sind. Ob Sie ihn kannten. Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, warum Sie hier sind. Oder hat Ihr Mann ihn gekannt?»
«Wir sind uns leider nie begegnet, nein. Peter hat ihn auch nicht kennen gelernt, soweit ich weiß. Aber im Zusammenhang mit einer Geheimsache, an der mein Mann beteiligt war, kam heraus, was Ihrem Alan zugestoßen ist. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Sie verstehen ja, dass Fragen zwecklos ist. Es tut mir so Leid. Sie möchten wohl gern mit jemandem über ihn sprechen?»
«Es macht es so schwer, dass er keine Eltern hatte.
Die könnte ich sonst besuchen.»
«Ihre Mutter hat ihn doch gekannt?»
«Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Vorher war sie zu uns einfach wundervoll. Unglaublich. Und als es hieß, er sei vermisst, so lieb zu mir. Es war ja gleich der Tag danach. Und dann, ein paar Wochen später, ist es ihr auf einmal alles zu viel, sie ist furchtbar empfindlich und macht sich Sorgen wegen der Schande und erträgt es nicht, dass ich Alan auch nur erwähne – dann gerät sie völlig außer sich. Und ich weiß nicht mehr
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