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Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten

Titel: Wimsey 16 - Mord in mageren Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers & Jill Paton Walsh
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Melodie vor sich hin. Der kleine Paul schlief fest in seinem Bettchen in einer Ecke bei ihr im Zimmer. Sein zerzaustes blondes Haar und seine geröteten Pausbacken erinnerten sie an die Mabel-Lucie-Attwell-Postkarten von vor dem Krieg. Das weiche Licht der anhaltenden Dämmerung verleitete Harriet dazu, ihren Mantel anzuziehen und einen späten Spaziergang zu machen. Vor der Tür kam es ihr noch heller vor, als es durch die Fenster ausgesehen hatte – wie wenn die Dunkelheit sich zuerst in die Häuser ergießen würde und sich das Draußen für später aufhob. Harriet ging über den alten Hof, vorbei an all den Schuppen, und bemerkte den wiederhergestellten Karren, der zur Benutzung bereitstand. Ob Bunter ihn selbst den Hügel hochgezogen hatte?
    Sie hatte den Spaziergang dringend nötig, um ihre tief sorgenvolle Stimmung abzuschütteln. Es gehörte nicht viel dazu, zwischen den Zeilen zu lesen und eine Katastrophe in Norwegen heraufziehen zu sehen. Die Deutschen hatten problemlos die Bevölkerungszentren besetzt, und die Alliierten zogen sich immer weiter nach Norden zurück, wo bereits Schnee lag. In den Radionachrichten heute Abend waren insbesondere die Kosten für die deutsche Schifffahrt genannt worden, die die Seegefechte vor der norwegischen Küste verursachten. Hitler werde sich schwer tun, für eine weitere Invasion von See aus noch genügend Schiffe zusammenzubekommen. In Harriets Ohren klang das unangenehm nach Pfeifen im Walde. Sie hielt sich zwischen den Talboys-Schuppen und denen der Batesons und stieg den Pfad zum Wald hinauf. Allmählich kamen über ihrem Kopf die Sterne zum Vorschein, sanft leuchtend, und mit ihnen die Mondsichel. Der Waldrand war schon ins Dunkel der Nacht getaucht, und als sie oben auf dem ansteigenden Feld angekommen war, reizte der Weg tiefer hinein sie nicht. Sie wandte sich also um und schaute auf Paggleham hinunter. Im Frieden würde dieses Bild funkeln vor kleinen Lichtern in den Fenstern der Cottages, und die Kirchturmuhr wäre angestrahlt. Wie eine Heftnaht würde die Reihe von Straßenlaternen markieren, wo die High Street verlief. Heute lag alles in rasch dunkler werdendem Zwielicht da. Unter ihr öffnete jemand eine Tür zur Stra ße, und sie sah kurz das Rechteck aus Licht, das gleich wieder eingesperrt wurde. Aus Frankreich kamen sehr schlimme Nachrichten, und es fiel ihr schwer, die Finsternis nicht als Metapher zu sehen. Und doch war noch genügend Licht vorhanden, um den Weg heim zu finden. Als sie schon fast wieder zu Hause war, wurden Stimmen zu ihr herübergeweht. Auf der Straße unterhielt sich jemand, aber was gesagt wurde, war nicht zu verstehen. Sie hörte einen Rums und einen dumpfen Schlag und stutzte, aber dann fiel ihr die Konstruktion zum Schweineschlachten wieder ein. Das traurige Los eines weiteren armen Schweines stellte ein weiteres wunderbares Abendessen in Aussicht. Sam hatte ja gesagt, dass es schnell und leise vor sich ging. Sie hörte die Landwirtschaftshelferinnen in ihrer Unterkunft singen, als sie daran vorbeikam, die Stimmung war offenbar gut:

    My mother said
    Always look under the bed
Before you put the candle out.
In case there is A MAN about …

    Im Hof war es nun schon sehr finster. Harriet wäre beinahe in den Karren gerannt, sie hatte ganz vergessen, dass er hier stand. Wie dieser Reifen aufgezogen worden war! Sie meinte sich zu erinnern, von Eisenrädern gelesen zu haben – von eisernen Reifen an den keltischen Streitwagen, auf denen die Häuptlinge siegreich gegen die Stämme gefahren waren, die das Relief im Kreidefelsen der Paggleham-Höhle hinterlassen hatten. O ja, Räder waren schon so gefertigt worden, Jahrhunderte bevor Julius Cäsar den Kiesstrand am Kanal hinaufgestapft war. Immer wieder war die geliebte Insel in der Vergangenheit erobert worden, und immer hatte sie ihre Eroberer in sich aufgenommen und integriert. Aber diese Vorstellung, dachte Harriet, als sie den Riegel der Hintertür leise hob und ihr friedliches Haus betrat, hatte zurzeit ganz und gar nichts Tröstliches.
    Am Küchentisch saß Bunter hemdsärmelig mit einem Buch und las. Sie wusste sofort, dass er auf sie gewartet hatte.
    «Angenehmer Spaziergang, Mylady?» Er stand auf, als sie hereinkam.
    «Danke, Bunter, ja.»
    «Dann schließe ich jetzt ab?»
    «Sicher. Gute Nacht.»
    Und in ihrem Schlafzimmer wartete in einer Emaillekanne heißes Wasser auf sie. Auf dem Frisiertisch ein kleiner Strauß Wildblumen. Das Bett aufgedeckt und bereit. Alles, was

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