Wind - Das Bündnis der Elemente (German Edition)
gewöhnt. Er hatte immerzu das Gefühl, gleich aufspringen und um sein Leben rennen zu müssen. Wenn er darüber nachdachte, was Mark am Samstagabend gesagt hatte, war das auch kein allzu schlechter Vergleich. Immerhin hatte er den Anführer der Windler angegriffen, wenn auch ohne sein Wissen und die würden ihn dafür sicher nicht ungeschoren davonkommen lassen.
Seine Augen flackerten an Tom vorbei, der neben ihm saß. Das Video fasste noch einmal die neunzig Minuten zusammen. Seine Aufmerksamkeit war bereits nach dreizehn Minuten verflogen gewesen. Kaum hatte der Abspann eingesetzt, als auch schon der Lehrer die Fernbedienung zückte und die Folter beendete.
„Nun, wer kann mir sagen, welchen ökologischen Nutzen die Beutelratte in den afrikanischen Breitengraden hat?“ fragte der große Herr und spulte das Video zurück während seine kleinen Schweinsäuglein durch die Klasse flitzten.
„Ich glaube, mit Sicherheit nicht derjenige, der die ganze Zeit mit seinem Stift gespielt hat. Und glaube ja nicht, ich hätte das nicht gehört. Wenn er es nicht nötig hat, meinem Unterricht zu folgen, dann will ich den Unbekannten nun bitten, den Raum zu verlassen. Was hier jetzt noch folgt, ist nämlich eine Zusammenfassung über das Ökosystem, das in Afrika herrscht. Also, Stiftspieler, entweder du folgst mir oder du verlässt den Raum.“
Collin blinzelte. Sein Lehrer blickte ihn nicht direkt an. Genau genommen sah er niemanden an, also wusste er tatsächlich nicht, wer es war. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, aufzustehen und dafür zu sorgen, dass der gesamten Klasse und nicht zuletzt seinem Lehrer die Kinnlade herunter fiel. Doch er hatte nie vor, unangenehm aufzufallen. Es gab auch für ihn Grenzen, die er nicht überschreiten sollte.
Aber wie das Schicksal so spielte, hielt es für jeden einige Karten bereit, mit denen man nicht rechnete und die einen jedes Mal neu überraschten. In diesem Fall war es für Collin der Herzkönig in Form von Mark Thun, dessen Kopf an der Zimmertür vorbei lief. Es war nur einen Moment, in dem Collin sein Gesicht in der Scheibe gesehen hatte. Und doch war er sich hundertprozentig sicher.
Er stand auf und schob seinen Stuhl zurück. Der Lehrer, der sich gerade die Kreide geschnappt hatte, sah auf und starrte ihn an. Collin atmete ein und sagte dann: „Ich habe Ihren Unterricht gestört.“ Er umrundete den Stuhl und blieb vor dem Lehrertisch noch einmal stehen. „Und Sie haben recht. Ich sollte rausgehen und Buße tun. Zum Stundenklingeln komme ich wieder herein.“ Und noch ehe sein Lehrer seine Überraschung besiegen und etwas sagen konnte, war der Schüler schon nach draußen geschlüpft. Er schloss die Tür hinter sich ganz leise. Der Schulflur lag verlassen da. Nur einige Papierschnippel fegten im Wind des offenen Fensters. Überbleibsel der großen Pause.
Collin rannte den Flur hinunter in die Richtung, in der Mark verschwunden war. Und als er um die Ecke bog, sah er den Studenten tatsächlich. Er stand am Getränkeautomat und zog sich gerade einen Kaffee.
„Hallo Mark.“, begrüßte er den Studenten, der sich gerade gebückt hatte, um seinen Becher aus der Öffnung zu heben. Er zuckte beim Klang von Collins Stimme zusammen und kippte sich das heiße Gebräu über die Finger.
„Aua! Verflucht!“ rief er aus und schob sich den Daumen in den Mund. „Collin, schleich’ dich doch nicht so an!“
„Entschuldige.“, meinte er ehrlich und trat näher an ihn heran. „Ich dachte, du hast mich gehört.“
„Na, anscheinend nicht.“ erwiderte Mark leicht verstimmt. Er hob den braunen Becher an und nahm einen Schluck. „Was gibt es denn, dass du mich so erschreckst?“
Nun war Collin peinlich berührt. Eigentlich war es doch dumm, schon nach drei Tagen aufdringlich zu werden. Er wusste schlagartig nicht, was er sagen sollte.
„Naja... ich weiß nicht. Ich habe dich gesehen und dachte, ich sage Hallo.“ Er blickte zu Boden.
Marks Stimme wurde eine Spur freundlicher. „Schon gut. Ich habe mich eben erschreckt. Es ist nett von dir, dass du hergekommen bist. Wie geht es dir?“, wollte er dann wissen und lehnte sich auf die Heizung neben Collin.
Dieser zuckte mit den Schultern. „Eigentlich ganz gut. Ich habe geübt, so wie Margarete mir das gesagt hat. Aber egal, wie tief ich in mich gehe, ich weiß einfach noch nicht, was ich mit dem Wind anfangen soll.“
„Nimm dir das nicht zu Herzen.“, munterte ihn Mark auf und nahm noch einen Schluck Kaffee.
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