Wind der Gezeiten - Roman
staubig-rötlichen Licht. Unterhalb des Hügels schimmerte das Meer, zuerst orange, dann kupfrig und schließlich violett. William Noringham saß mit zurückgelegtem Kopf auf dem Schaukelstuhl und sah zu, wie der Feuerball hinter dem Horizont versank und die Wasseroberfläche allmählich tintenschwarz wurde. Auch danach blieb er noch sitzen und blickte in die abendliche Dämmerung, darauf wartend, dass Celia ihm sein Abendessen brachte. Er hatte seit dem Sonnenaufgang geschuftet und würde auch später noch einmal zur Zuckermühle zurückkehren, doch der Hunger hatte ihn zu einer Pause gezwungen.
Insekten kreisten taumelnd um die Laternen in den Ecken der Veranda, während in den tiefen Schatten neben dem Haus die ersten Grillen ihr Lied anstimmten. Von den Unterkünften der Schwarzen ertönte ein melancholisches Trommeln und dazu der dunkle Gesang einiger Frauen. Die meisten Sklaven von Summer Hill hatten sich in ihre Hütten zurückgezogen, nachdem sie die Ernte des Tages eingebracht und die riesigen Bündel frisch geschnittenen Rohrs bei der Zuckermühle abgeladen hatten. William ließ die Presse mittlerweile in zwei Schichten laufen, anders waren die großen Mengen Rohr nicht zu bewältigen. Seit er die Bewirtschaftung von Rainbow Falls für Elizabeth übernommen hatte, musste die komplette Ernte der Nachbarplantage mit verarbeitet werden, und das klappte nur, wenn die Mühle auf Summer Hill ständig in Betrieb blieb. Nachts ließ er bei Fackellicht arbeiten, und die Sklaven und Schuldknechte, die er dafür einsetzte, bekamen dafür entweder zu anderen Zeiten frei oder konnten sich die Zusatzarbeit von ihren Kontrakten abziehen lassen. In diesem Punkt machte er keine Unterschiede mehr zwischen Schwarzen und Iren– sie alle kamen nach spätestens sieben Jahren frei. Oder auch früher, wenn sie sich zu Doppelschichten bereitfanden, was wiederum den Ertrag ständig wachsen ließ. Der Absatz war zwar zeitweilig ins Stocken geraten, weil wegen des englisch-holländischen Seekriegs die niederländischen Westindienfahrer, die früher zuverlässig allen Zucker mitgenommen hatten, die Insel nicht mehr anliefen, aber mittlerweile hatten die Handelskompanien des Commonwealth diese Lücke nach und nach geschlossen. Die Frachtführer hatten sich zunehmend auf Konvoifahrten verlegt, was nicht nur größere Transportmengen ermöglichte, sondern auch besseren Schutz auf dem Seeweg gewährleistete. Schwer bewaffnete Begleitschiffe sorgten dafür, dass das begehrte weiße Gold in ausreichenden Mengen die englischen Häfen erreichte, und weil der Bedarf daran weiterhin beständig anstieg, musste sich keiner der Pflanzer auf Barbados um sein Geschäft sorgen. Auf der Insel ging es nur noch darum, wer die größte Landfläche kultivierte und dafür die meisten Arbeiter mobilisieren konnte. Nicht nur auf Barbados, sondern auch auf den anderen westindischen Inseln wurde immer mehr Zucker angebaut, und an der Küste von Virginia dehnten sich die Tabakplantagen aus. Einige Händler waren dazu übergegangen, zunächst Tauschgüter in Form von Waffen, Glas oder Stoffen an die afrikanische Sklavenküste zu bringen, wo ihnen im Gegenzug die von Menschenjägern eingefangenen Schwarzen ausgeliefert wurden, welche wiederum schnellstmöglich auf die Kolonien befördert wurden. Dort wurden die Schiffe mit Zucker, Tabak oder Baumwolle beladen, all jene Produkte, von denen wiederum England nicht genug bekommen konnte.
Noch steckte diese Art von Handel in den Anfängen, aber man konnte absehen, was einst daraus werden würde– genau das, was William schon vor Jahren befürchtet hatte. Der Sklavenhandel verwandelte sich in ein gewaltiges, blühendes Geschäft, das untrennbar mit der Plantagenwirtschaft in den Kolonien verbunden war. Ohne Sklaven keine Plantagen, ohne Plantagen kein Zucker, keine Baumwolle und kein Tabak.
William grübelte oft über diesen unheilvollen Kreislauf nach und fühlte sich dabei zwischen seinen idealistischen Wunschvorstellungen und den Zwängen des Pragmatismus gefangen. Seine Bemühungen, beides zu einem akzeptablen Weg zusammenzuführen, mussten zwangsläufig in Resignation münden, denn mehr als ein fauler Kompromiss konnte niemals dabei herauskommen. Als er einmal mit Celia darüber gesprochen hatte, weil er ihre Gedanken dazu erfahren wollte, hatte sie gemeint, es sei seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Sklaven zu halten, und zwar so viele wie möglich, denn anderenfalls würden sie allesamt zu anderen
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