Wind der Gezeiten - Roman
sechsundzwanzig, beileibe nicht alt. Duncan Haynes war schon deutlich über dreißig gewesen, als er Elizabeth zur Frau genommen hatte. Lizzie… William griff zur Karaffe und schenkte sich das Glas voll, um den Wein anschließend in einem Zug herunterzustürzen. Lizzie wäre seine Frau geworden, wenn Haynes nicht gewesen wäre.
Wann immer William ans Heiraten gedacht hatte, war sie diejenige gewesen, die ihm dabei vor Augen gestanden hatte. Die Vorsehung hatte es gefügt, dass sie statt seiner Duncan Haynes gewählt hatte. Einen Piraten und Abenteurer. Zugegeben, Duncan hatte sich ihrer mittlerweile als würdig erwiesen, aber dennoch… William machte sich nichts vor. Er hatte die Hoffnung auf Lizzie immer noch nicht ganz aufgegeben. Sie hatte schon einmal einen Mann verloren, und Duncan Haynes führte ein gefährliches Leben, das keine Gewähr fürs Altwerden bot. Die hatte sowieso niemand. William hasste sich für solche Gedanken, doch er kam nicht dagegen an.
» Ihr habt die Krabben noch nicht probiert « , sagte Celia. Er blickte auf und sah sie ein wenig irritiert an, denn einen Moment lang glaubte er, sie sei verärgert. Doch das musste eine Täuschung sein, denn sie lächelte. Im Licht der kleinen Laterne, die sie auf den Tisch gestellt hatte, war sie umwerfend schön. Ihre perlweißen Zähne, das sanfte Schimmern ihrer Haut und die großen, dunklen Augen lenkten ihn auf der Stelle von allen anderen Gedanken ab, und wieder einmal fragte er sich, ob sie wohl wusste, wie bezaubernd sie aussah. Vermutlich schon, dazu musste sie ja nur in den Spiegel schauen. Doch sie gehörte nicht zu der Art Frauen, die sich um ihr Äußeres Gedanken machten. Es war ihr schlicht egal.
Ihr ebenmäßiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den wie Rabenschwingen geformten Brauen wies nicht die geringste Ähnlichkeit mit Harold Dunmore auf. Was diesen Umstand anging, wäre William von allein niemals auf die Idee gekommen, auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wenn sie nicht eines Tages selbst damit angefangen hätte.
» Ihr müsst es bloß sagen, wenn Ihr mich nicht mehr um Euch haben wollt « , hatte sie patzig gemeint. Er hatte sie nur verblüfft anstarren können, denn er hatte in diesem Moment nicht einmal gewusst, womit er ihren Ärger geweckt hatte.
» Worauf willst du hinaus? « , hatte er befremdet wissen wollen.
» Tut nicht so! Ich bin die Tochter dieses Scheusals! Von seinem Fleisch und Blut! Seit Ihr es wisst, könnt Ihr sicher an nichts anderes mehr denken und überlegt nur noch, wie Ihr mich loswerden könnt! «
Er war zuerst perplex gewesen, dann entrüstet, denn der Gedanke, dass sie ihn solcher Regungen für fähig hielt, empörte ihn. Er hatte sie entsprechend zurechtgewiesen, und ihre Erleichterung hatte ihn besänftigt. Doch er hatte ihren Unmut auch zum Anlass genommen, sie genauer zu betrachten und erstmals nach Ähnlichkeiten zu suchen. Er hatte keine entdeckt. Auf unbestimmte Weise hatte ihn das beruhigt, aber wenn er genauer darüber nachdachte, wäre es ihm so oder so egal gewesen. Dunmore hatte zu seinen Lebzeiten nicht das Geringste mit Celia zu tun gehabt, außer dass er ihr nach dem Leben getrachtet hatte. Der Mistkerl hatte sie mehr als einmal fast umgebracht, aber am Ende war sie diejenige gewesen, die ihm das Messer in sein rabenschwarzes Herz gestoßen hatte. Streng genommen war sie damit eine Vatermörderin, doch auch das focht William nicht im Mindesten an. Sie war und blieb einfach das Mädchen, das sie schon immer gewesen war. Er kannte sie von klein auf, anfangs als zierliches Püppchen mit Ringellocken und riesigen Augen, das seine ersten wackligen Schritte auf der Veranda des Herrenhauses getan hatte, und später als neugierigen Wirbelwind, der ständig um seine Mutter und Anne herumgesprungen war und jeden Winkel des Hauses erkundet hatte, einschließlich seines Zimmers. Einmal, da musste sie ungefähr zwölf oder dreizehn gewesen sein, hatte er sie dabei erwischt, wie sie vor der offenen Schublade seiner Kommode gestanden und die Nase in ein frisch geplättetes Hemd von ihm gedrückt und daran geschnuppert hatte. Als sie seiner Anwesenheit gewahr geworden war, hatte sie planlos die restliche Wäsche in die Schublade gestopft und dann fluchtartig das Weite gesucht.
Summer Hill ohne Celia war schlicht nicht vorstellbar. Frühmorgens war sie der erste Mensch, dem William begegnete, wenn er nach unten kam. Sie hatte meist schon sein Frühstück fertig und saß
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