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Wind der Gezeiten - Roman

Wind der Gezeiten - Roman

Titel: Wind der Gezeiten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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ihn in einem stinkenden Kerker an die Wand. Benommen auf dem Boden sitzend, versuchte er seiner Schmerzen Herr zu werden, doch es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hatte schon oft von dem berüchtigten Gefängnis hinter den Wehrmauern des Stadttores gehört, wo die Todgeweihten auf ihre Hinrichtung warteten, doch die Wirklichkeit übertraf alle geschilderten Schrecknisse. Die steinernen Wände strömten eisige Kälte aus, er fror erbärmlich. Stiefel und Umhang hatte man ihm zusammen mit dem Waffengurt weggenommen, denn nichts davon würde er je wieder brauchen. Das laute Stöhnen und Kettenscharren, das von seinen Mithäftlingen kam, vereinte sich mit den hallenden Stiefelschritten der Wächter und dem Klagegeheul, das aus einer der anderen Zellen herüberdrang, zu einer Kakofonie des Untergangs.
    Der Tag ging in die Nacht über, allmählich senkte sich Dunkelheit über das Verlies. Trotz seiner Erschöpfung blieb Duncans Schlaf oberflächlich. Immer wieder wurde er von einem Stöhnen oder Wimmern oder Scharren geweckt, oft genug stammte es von ihm selbst. Einmal trat ihn ein Mitgefangener in die Seite.
    » Sei still, du Jammerlappen! « , zischte es aus der Dunkelheit.
    Draußen regnete es, der Wind wehte die Nässe durch die vergitterten Fenster in die Zelle und überzog alles mit klammer, kalter Feuchtigkeit. Nach Tagesanbruch kam ein Wärter mit einer dünnen Hafersuppe. Duncan schlang das wässrige Gemisch gierig hinunter, denn er ahnte, dass die anderen es ihm wegnehmen würden, falls er es verschmähte. Der Anblick der ausgemergelten, halb verhungerten Gestalten um ihn herum, ein halbes Dutzend an der Zahl, sprach für sich.
    Zerlumpt, von Flohbissen übersät und mit blutunterlaufenen Augen hockten sie auf den schmutzigen Binsen, die den Zellenboden bedeckten. Zwei oder drei von ihnen starrten den Neuzugang an, die anderen lehnten lethargisch an der Wand, als hätten sie sich längst aufgegeben.
    Duncan sammelte sich und sprach den Mann, der ihm am nächsten war, mit rauer Stimme an.
    » Lassen die Wärter mit sich reden? «
    » Du meinst für Geld? « , kam es krächzend zurück.
    Duncan nickte, und der Mann, der nur noch aus Haut und Knochen bestand und dessen Stummelzähne ebenso schwarz waren wie seine nackten Füße, zuckte kraftlos die Achseln.
    » Wenn du welches hast– sicherlich. Aber den Hals rettest du dir damit nicht. Du kriegst höchstens besseres Essen oder eine Decke. « Der Blick des Mannes wurde lauernd. » Hast du welches? Geld, meine ich. «
    » Natürlich nicht. Sie haben mir alles weggenommen, was ich dabeihatte. «
    » Klar. Aber du weißt, dass ich nicht dieses Geld meine, sondern das, was du woanders versteckt hast. «
    » Vielleicht habe ich welches, vielleicht nicht. «
    » Ich könnte dir sagen, welcher Wärter am ehesten bereit ist, was für dich zu tun. « Der Mann taxierte ihn, als wollte er ergründen, was bei ihm zu holen war. » Dann sparst du dir unnütze Zeit. Denn nicht jeder lässt mit sich reden. Und manche stecken sich auch einfach nur das Geld ein und tun nichts. «
    » Was willst du dafür? Eine Decke? «
    » Nein, die nützt mir nicht mehr viel. « Der Mann beugte sich mit rasselnden Ketten vor, und Duncan wich vor seinem fauligen Atem zurück.
    » Ich will was für meine Tochter. Sie heißt Nell und arbeitet als Bedienung im Goldenen Anker. «
    » Wo ist das? «
    » London Bridge. Die Schenke gehört einem Vetter von mir. Viel Gesindel dort, aber meine Nell ist ein ehrliches und sauberes Mädel. Ich will, dass sie Geld kriegt, um nach Bedford zurückzugehen. Da sind wir her, dort hat sie es besser. Ihre Tante lebt noch da, meine Schwester. Hat ein Cottage mit Ziegen und Schafen und so. Da soll Nell hin und ein ordentliches Leben führen. «
    » Wie heißt du? « Duncan sprach leise, die anderen mussten nicht unbedingt hören, was er hier zu bereden hatte.
    » Samuel. Kannst mich Sam nennen. «
    » Und warum bist du hier, Sam? «
    » Hab einem feinen Herrn die Börse abgeschnitten, um für mein kleines Mädchen neue Schuhe kaufen zu können. «
    » Ich schwöre dir beim Grab meiner Mutter, dass deine Tochter genug Geld für die Heimreise kriegt. Außerdem lasse ich ihr drei Goldstücke zukommen, wenn der Wärter, den du mir gleich nennst, eine Botschaft für mich übermittelt und ich dadurch rauskomme. Womit ich fest rechne, wenn die Nachricht bei dem Mann landet, der sie kriegen soll. «
    » Gemacht « , sagte Sam. » Aber viel Zeit hast du nicht

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