Wind der Traumzeit (German Edition)
Ein wenig graute ihm vor dem Gespräch, aber er dachte wieder an seine Mutter und auch an Marie, und so riss er sich zusammen. Er wollte nicht feige sein. »Ich möchte gern in Ruhe mit dir sprechen, Papa.«
Max nickte. Ihn beschlich zwar ein beklemmendes Gefühl, aber er beschloss, sich dies nicht anmerken zu lassen. Er richtete den Schlüssel auf den Wagen, drückte einen Knopf, und sofort signalisierte ihm das Auto mit einem sonoren Surren, dass die Zentralverriegelung gelöst war. Max öffnete die Tür hinter der Fahrerseite, warf seinen Aktenkoffer mit dem Mantel auf die Rückbank und ließ sich dann hinter dem Steuer nieder. »Okay. Wo wollen wir hin? Möchtest du ein Eis essen gehen, oder wollen wir in der Wohnung zusammensitzen und eine Pizza kommen lassen?«
Niklas überlegte nicht lange. »Dann doch gern die Pizza bei dir, ja?«
Max ließ den Motor an. »Einverstanden.«
Zu Hause auf der Dachterrasse lehnte Max sich auf seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. »Also, Nicky, was ist los?«
Niklas war aus seinen Turnschuhen geschlüpft und saß imSchneidersitz auf dem weichen Polster des Stuhls. Ein wenig verlegen sah er auf. »Weißt du, Papa, ich möchte einmal in Ruhe mit dir über uns alle und über Mama und Australien sprechen …« Er hob abwehrend die Hand, als Max sich sofort vorbeugte und etwas sagen wollte. »Lass mich ausreden. Ich weiß, du meinst, dass das eine Sache zwischen dir und Mama ist. Aber das ist nicht so. Es geht Marie und mich sehr wohl etwas an, denn es betrifft vor allem unser Leben. Wir sind nicht mehr so klein und dumm, dass ihr nach Belieben um uns streiten oder über uns entscheiden könnt.« Er machte eine Pause und war froh, dass sein Vater jetzt schwieg und abwartete. Als er fortfuhr, hatte er einen trotzigen Zug um den Mund. »Ich weiß, ihr liebt uns beide und wollt nur das Beste, aber so, wie es jetzt ist, ist es einfach nur beschissen. Du versuchst mit deinen Rechtsanwälten Mama fertig zu machen und sie aus dem Rennen zu werfen. Jedes Mal, wenn ein neuer Brief von deinen Superanwälten kommt, sitzt sie heimlich in der Küche und heult sich die Augen aus dem Kopf. Marie kann sich nicht entscheiden und ist total durcheinander. Kannst du dir vorstellen, dass sie nicht einmal mehr zum Reiten will? Sie isst kaum noch und wird immer blasser und dünner. Man braucht sie nur einmal schräg anzugucken, dann bricht sie in Tränen aus.« Niklas stockte. Eine Mischung aus Empörung und Verzweiflung war in sein Gesicht geschrieben, als er schließlich in seine Turnschuhe schlüpfte, aufstand und seinem Vater den Rücken zukehrte.
»So, wie es jetzt läuft, Papa, ist es einfach Megascheiße!«
Max schwieg sekundenlang, dann erhob er sich und ging zu Niklas. Zögernd legte er ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich glaub dir, Nicky. Und du hast ja Recht, es muss sich etwas ändern. Aber … ich kann doch nicht einfach hier in Hamburgsitzen und zusehen, wie deine Mutter mit euch ans andere Ende der Welt verschwindet. Kannst du das denn nicht verstehen?«
Niklas nickte. »Doch, das kann ich natürlich verstehen. Aber ihr habt euch nicht einmal die Mühe gemacht, Marie oder mich zu fragen, was wir davon halten.« Er sah seinem Vater fest in die Augen. »Ich will gar nicht nach Australien. Ich will hier bleiben, Papa. Aber ich glaube, Marie würde lieber bei Mama und Sophie bleiben. Sie zerfleischt sich innerlich, weil sie weder dich noch mich verletzen will.«
Niklas’ Mundwinkel zuckten ein wenig, als er den Blick wieder der Stadt zuwandte. Max lehnte sich gegen die Betonbrüstung der Dachterrasse und sah seinen Sohn an. Erstaunt darüber, wie erwachsen der Junge schon war, kämpften Liebe und Vernunft einen harten Kampf in seinem Inneren. Sein Herz sagte ihm, dass Niklas Recht hatte. Es musste sich etwas ändern. Müde rieb er sich sekundenlang die Schläfen, bevor er aufschaute und lächelte.
»Du bist wahrscheinlich zehnmal vernünftiger als deine Eltern. Ich werde in Ruhe mit deiner Mutter reden, das verspreche ich dir. Okay?«
Niklas atmete erleichtert auf. »Okay, Papa.«
Max knuffte ihn in die Seite. »Jetzt fahre ich dich rasch nach Hause, du hast ja morgen Schule.«
Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit begleitete er seinen Sohn bis zur Haustür. Nora öffnete und wurde sofort kreidebleich, als sie ihn sah.
Erstaunt musste er zur Kenntnis nehmen, dass es ihm keine Freude bereitete, für sie zu einem Schreckgespenst geworden zu sein. Sie machte
Weitere Kostenlose Bücher