Wind der Traumzeit (German Edition)
Kopf. Tom hatte doch sonst so feine Antennen, wenn es um die zwischenmenschlichen Töne ging. Wieso blieb er so gelassen? Sie taxierte sein Gesicht, dann senkte sie den Kopf und sah auf ihre Hände.
»Ich halte das nicht mehr lange aus, Tom. Dieses ewige Hin und Her. Die Angst, dass ich meine Kinder nicht nur verlieren kann, sondern auch, dass ich sie unglücklich mache, indem ich mein eigenes Glück durchsetzen will.« Sie hatte bitter aufgelacht. »Im Grunde sitzen wir noch genau da, wo wir uns nach unserer ersten gemeinsamen Nacht auf der Farm der Harpers befunden haben. Eigentlich lachhaft, dass wir immer noch an diesem Punkt sind, obwohl ich inzwischen tatsächlich geschieden bin. Findest du nicht?«
»Niemand hat uns versprochen, dass es leicht wird, Nora. Deine Kinder sind lebhaft und intelligent, ihnen steht eine eigene Meinung zu. Und wenn ich Max wäre, würde ich auch nicht hurra schreien, wenn man mich mit dieser Situation konfrontieren würde. Aber, was auch geschieht, ich liebe dich. Und wir gehören zusammen. Nora, ich kann dich nicht noch einmal verlieren.«
Sie sah in seine Augen. Wieder einmal war sie nicht in der Lage, seinem intensiven Blick auszuweichen. Ja, sie liebte Tom mit jeder Faser ihres Herzens. Sie konnte sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen und spürte schon seinen Atem, als er sich zu ihr hinunterbeugte. Sein Kuss ließ die eben noch ausgestandenen Sorgen wegen ihres Sohnes in den Hintergrund treten. In diesem Moment fühlte sie nur noch Tom.
10
N iklas blieb weiterhin stur und bockig. Ihm missfiel die Vorstellung, die Scheidung seiner Eltern so einfach hinzunehmen und obendrein widerspruchslos den neuen Mann an der Seite seiner Mutter zu akzeptieren und sich ans andere Ende der Welt verfrachten zu lassen.
Insgeheim fand er Australien nicht uninteressant. Als noch alles in Ordnung gewesen war, hatte er oft an der Begeisterung seiner Mutter für dieses Land teilgehabt. Auch die Institution des Flying Doctor Service, des größten Luftrettungsdienstes auf der Erde, faszinierte ihn, denn er träumte davon, einmal Pilot zu werden. Aber eher hätte er sich die Zunge abgebissen, als das vor diesem Tom zuzugeben.
Niklas hatte sich für seinen Vater entschieden und beabsichtigte, nicht nach Australien auszuwandern. Seine unnachgiebige Haltung stürzte Marie in schwere Konflikte. Vom Tag ihrer Geburt an war sie ein »Mama-Kind« gewesen. Durch ein tiefes, unauflösliches Band mit ihrer Mutter verbunden, quälte sie die Vorstellung, von ihr getrennt zu leben. Aber Marie hing auch sehr an ihrem großen Bruder, der ihr unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er nicht nach Australien wolle. Marie litt unsagbar unter den familiären Querelen. Ihre Eltern, zwischen denen nie laute oder böse Worte gefallen waren, stritten nur noch. Ihr Vater hatte Anwälte eingeschaltet, die ihrer Mutter böse Briefe schrieben. Immer wenn so ein Brief in der Post gewesen war, bemerkte Marie, wie ihre Mutter blass wurde. Oft hatte sie gehört, wie sie dann in der Küche oder im Schlafzimmer geweint hatte, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.
Marie verlor ihr Interesse am Reiten, an der Schule und an den Treffen mit ihren Freundinnen. Sie hatte kaum mehr Appetit, wurde blass und magerte ab. Sie verstand nicht, warum sich alles ändern musste, begriff nicht, warum ihr Vater mit einem Mal so böse auf ihre Mutter war. Sie wusste nur, dass es mit Tom zusammenhing, dem sowohl ihr Vater als auch ihr Bruder die Schuld an allem gab. Aber Marie konnte Tom nicht hassen. Er war Sophies Vater, und in ihrem Herzen spürte sie, dass auch ihre kleine Schwester ein Recht auf ihren Vater hatte. Darüber hinaus mochte sie Tom. Er war immer freundlich zu ihr, ohne sich in irgendeiner Weise aufzudrängen oder »einzuschleimen«, wie es Niklas genannt hätte. Aus der fröhlichen, selbstsicheren Marie wurde ein zutiefst verunsichertes, ernstes Mädchen, das beim geringsten Anlass in Tränen ausbrach.
Zunächst hatte Niklas sie wegen ihrer meist neutralen Haltung Tom gegenüber attackiert und gehänselt, später jedoch hatte er erkannt, wie sehr sie unter der Situation litt. Seine kleine Schwester hatte sich selbst verloren — auf der Suche nach einem festen Halt zwischen Mutter, Vater und Bruder. Sie war psychisch nicht in der Lage, sich klar für einen zu entscheiden, weil sie dann sofort von dem Kummer zerfressen wurde, sich gleichzeitig gegen eine andere geliebte Person entschieden zu haben.
Niklas saß an seinem
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