Wind der Traumzeit (German Edition)
einen fahrigen Eindruck und hatte dunkle Ränder unter den Augen.
Nachdem Niklas nach oben verschwunden war, stand sie zögernd im Flur und sah Max unsicher an. Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft, ihn wegen des neuen Anwaltschreibens zur Rede zu stellen. Es erschien ihr so sinnlos. Müde schaute sie ihn an. »Möchtest du hereinkommen?«
Max schüttelte den Kopf. Die Aussicht, im Wohnzimmer womöglich auf diesen Tom zu treffen, hätte seine Entscheidung sicher wieder zum Kippen gebracht. »Ich möchte in Ruhe mit dir reden. Hast du etwas Zeit?«
In Nora stiegen beklemmende Gefühle auf. Die Angst, dass er ihr womöglich einen letzten entscheidenden Schlag versetzen wollte, schnürte ihr fast die Kehle zu. Sie durfte die Kinder nicht verlieren. Aber was hatte sie seiner überlegenen Gelassenheit entgegenzusetzen? Verzweiflung? Hastig fuhr sie sich durchs Haar. »Warte mal. Ich bin gleich wieder da.« Sie verschwand im Wohnzimmer und kam kurz darauf in die Diele zurück, wo sie nach einem hellen Parka und ihrer Umhängetasche griff. Dann folgte sie Max zu seinem Wagen. Schweigend fuhren sie eine Weile. Es war, als hätte jeder von beiden Angst, den ersten Schritt zu tun.
Max musterte sie kurz von der Seite. »Hast du Hunger?«
Nora schüttelte den Kopf. Sie hätte jetzt keinen Bissen hinuntergebracht.
»Wollen wir dann ein Stück spazieren gehen?«
Nora atmete auf und nickte. Frische Luft war vermutlich das Einzige, was ihr aus ihrer Beklemmung helfen konnte.
Max parkte in einer ruhigen Nebenstraße, und sie schlenderten in der Dämmerung über einen beleuchteten Weg am Ufer der Alster entlang. Schließlich blieb Max stehen und sah Nora an.
»Niklas hat mich heute im Verlag abgeholt, weil er mit mir sprechen wollte. Er hat mir die Augen geöffnet, wie sinnlos unsereAuseinandersetzungen sind. Im Grunde helfen sie niemandem. Sie machen nur die Erinnerung an unsere guten Zeiten kaputt …«
Nora hatte das Kinn vorgereckt und sah auf den Fluss. Sie wollte abwarten, was Max zu sagen hatte. Insgeheim wusste sie, dass er Recht hatte, ihr war aber auch klar, dass es für sie beide keine zufriedenstellende Lösung aus diesem Dilemma geben würde. Sie machte ein paar Schritte auf eine Bank zu und ließ sich dort nieder.
Max folgte ihr und setzte sich neben sie. Nach kurzem Schweigen fuhr er fort. »Im Grunde ist es doch so – du willst die Kinder mit nach Australien nehmen, und ich will sie hier in Hamburg behalten. Wir haben aber noch nie daran gedacht, mit Marie oder Niklas zu sprechen, sie zu fragen, was sie wollen.« Er sah sie ernst an. »Wir tun ihnen weh, Nora, wenn wir einfach über ihre Köpfe hinweg um sie streiten oder über sie entscheiden …«
Nora schluckte unwillkürlich. Sie wusste, dass das, was Max vorbrachte, vernünftig war, aber sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihre Kinder Nein sagen würden, wenn sie sie fragte, ob sie mit ihr nach Australien gehen würden. Unter keinen Umständen wollte sie ihnen dazu die Gelegenheit geben. Sie liebte sie mit jeder Faser ihres Herzens, aber sie wollte auch unbedingt, dass sie bei ihr blieben. Sie schwieg weiterhin. Ihre Kehle brannte, und vor Angst brachte sie kein Wort heraus.
Max hatte sie beobachtet und lehnte sich zurück. »Nora, sie sind keine Babys mehr. Heute Nachmittag war ich zunächst völlig sprachlos, wie viele Gedanken sich unser Sohn über alles gemacht hat. Niklas erzählte mir, wie sehr Marie unter unserer Auseinandersetzung leidet. Er ist davon überzeugt, dass sie gerne bei dir bleiben möchte, doch sie plagen auch Schuldgefühle mir gegenüber.« Max sah, wie Nora die Zähne zusammenbiss. »Nora, Nicky will nicht nach Australien. Er möchte hier bei mir in Hamburg bleiben.« Er schwieg sekundenlang, bevor er hinzufugte: »Er wird bald dreizehn. Er verdient ein Mitspracherecht.«
Nora versuchte den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. Aufsteigende Wut half ihr dabei. Ihre Augen sprühten Funken. »Du versuchst mir also allen Ernstes hier klar zu machen, dass wir einfach unsere beiden Kinder unter uns aufteilen sollten, ja? Wie praktisch, dass wir zwei haben. Eins für mich und eins für dich. Ich bekomme Marie, und du behältst Niklas.« Sie schaute verbittert auf. »Ist das deine Wunschlösung, Max? Dass wir die Kinder, die von Maries Geburt an zusammen waren, auseinander reißen? Sie wie Hausrat unter uns aufteilen? Nur weil du es nicht ertragen kannst, dass ich ein neues Leben anfange?«
Max senkte den Kopf und
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