Wind der Traumzeit (German Edition)
dem Augenwinkel. Er schwieg und sah aus dem Fenster.
Ab und zu deutete sie hierhin und dorthin, um ihren Sohn auf etwas aufmerksam zu machen. Sie erklärte ihm die landschaftlichen Besonderheiten, für ihn fremdartige Bäume oder Vögel und erzählte ihm etwas über die Farmen, an deren Weideland sie vorüberfuhren. Sie freute sich, dass sie auch dieses Mal in einiger Entfernung ein paar Kamele entdeckte, die sie Niklas zeigen konnte.
Nach und nach schien die ungewohnte Umgebung den Jungen zu fesseln, und er stellte von sich aus Fragen. Wieder einmal bemerkte Nora, wie erwachsen ihr Sohn geworden war. Innerlich erfreut und bewegt zugleich erkannte sie, dass er sich – wie sie selbst auch – sehr für die Kultur der Aborigines und ihre heutige Situation interessierte. Er wollte wissen, wie es in der Siedlung aussah, und fürchtete offenbar, sich nicht ausreichend verständlich machen zu können.
Nora erzählte ihm von ihrem ersten Besuch und ihrer Nervosität und davon, wie warmherzig und gastfreundlich sie aufgenommen worden war. Sie berichtete von Marrindi und Wudima, von den verschiedenen Maltechniken in der Künstlerwerkstatt, der Farbherstellung und den Bildern und Instrumenten der Aborigines. Fast automatisch wurde hierbei die Traumzeit zum Thema.
Nora freute sich, als sie feststellte, dass Niklas sich bereits damit auseinander gesetzt hatte.
Die Kultur der Aborigines schien Mutter und Sohn wieder zusammenzuführen. Zum ersten Mal seit langer Zeit waren beide so weit weg von den Problemen und Ereignissen, die sie einander entfremdet hatten, dass eine ganz normale Unterhaltung möglich war.
Ein frischer Herbstwind trieb graue Wolkenfelder über den Himmel und dämpfte die Farben der roten Erde. Bald schon würden erste Regengüsse der Landschaft dabei helfen, die trockenen gelben Gräser auf den Weiden in frisches Grün zu verwandeln. Doch dieser Kontinent kannte kein Mittelmaß. Nora wusste, dass die Farmer wie in jedem Jahr zwar sehnlichst auf die Niederschläge warteten, aber gleichzeitig darum bangten, ob diese Niederschläge rasch genug vor den heftigen Blitzschlägen kommen würden, um die Ausbreitung der gefürchteten Buschbrände zu verhindern. So paradox es Nora auch vorgekommen war, als sie es erfahren hatte, aber auch die heftigen Gewitter taten der australischen Landschaft gut. Durch die Energie der Blitze während des Gewitters entstand in der Luft Nitrat, welches mit den nachfolgenden Regengüssen als Dünger in den ausgedörrten Boden gelangte und den Pflanzen gerade nach den kargen Zeiten des trockenen Sommers zu einem regelrechten Wachstumsschub verhalf.
»Da! Sieh mal!« Niklas hatte unter ein paar dünnen Bäumen eine kleine Gruppe Kängurus entdeckt, die nach Nahrung suchte. Er beobachtete sie interessiert. »Aber da ist doch alles knochentrocken. Finden sie überhaupt noch Nahrung? Wohin ziehen sie sich eigentlich zurück, wenn die Sonne so richtig vom Himmel knallt? Hier gibt es doch keine Höhlen oder so was.« Nora hatte die Fahrt verlangsamt und hielt nun kurz an. Gemeinsam betrachteten sie die Tiere.
»Ich habe mal gehört, dass sie auf Wurzeln, Samen oder Knollen ausweichen, wenn das Gras knapp wird. Das wirft allerdings ein weiteres Problem auf. Wenn sie so viel trockenes Zeug fressen müssen, ist es zwangsläufig notwendig, dass sie mehr Wasser zu sich nehmen, was ja in Dürrezeiten schwierig ist, wenn Bäche und Flüsse austrocknen. Dafür können sie Wasser über eine Entfernung von mehr als zwanzig Kilometern riechen. Und so finden sich an den von Farmern angelegten Viehtränken oftauch viele Kängurus. Zum Ausruhen suchen sie sich dann Schatten unter den Bäumen, und um es kühler zu haben, scharren sie die oberste heiße Erdschicht beiseite und legen sich anschließend in die kühle Mulde. Ihre Vorderpfoten sollen besonders dünnhäutig und gut durchblutet sein. Wenn die Hitze unerträglich wird, lecken sie sie ausgiebig. Der Speichel verdunstet dann und kühlt gleichzeitig.«
Niklas schaute die Tiere unverwandt an. »Das sind die ersten Kängurus, die ich außerhalb eines Zoos sehe.« Nora lachte. »Ja, genauso fasziniert war ich auch. Und – unter uns gesagt – ich bin es immer noch. Die australischen Farmer teilen aber unsere Begeisterung nicht. Diese großen Hüpfer dort bedeuten nämlich Konkurrenz auf den Weideflächen für ihre Schafe und Rinder.«
Niklas zuckte ein wenig trotzig mit den Schultern. »Immerhin waren die Kängurus zuerst hier, oder?«
Nora
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