Wind der Traumzeit (German Edition)
lachte erneut. »Da hast du Recht. Aber das will wohl niemand mehr wissen.«
Sie erreichten die Siedlung ohne Probleme, und Nora atmete auf. Nach einer freundlichen Begrüßung ging sie mit Niklas zwanglos umher und zeigte ihm auch die Künstlerwerkstatt. Der Junge sah zu, wie Bilder entstanden, und wurde aufgefordert, diese oder jene Maltechnik einmal auszuprobieren oder beim Anrühren der Farben zu helfen. Seine anfängliche Schüchternheit legte sich rasch, als er erkannte, dass die Aborigines bei Sprachproblemen völlig unbekümmert auf Mimik oder Gestik auswichen und so immer einen Weg fanden, sich verständlich zu machen.
Niklas’ größte Faszination in der Werkstatt galt jedoch den Didgeridoos, die auf der einen Seite schon fertig bemalt und aufder anderen Seite noch unfertig herumstanden. Schon als seine Mutter damals in Hamburg eines gekauft hatte, war er mit Eifer dabei gewesen es auszuprobieren. Er hatte sich als ausgesprochen begabt gezeigt und auch sofort den Grundton getroffen. Nachdem Nora sich jedoch in Tom verliebt und seine Eltern sich getrennt hatten, hatte er trotzig alles gemieden, was in irgendeinem Zusammenhang mit Australien stand.
Nun ging er in der Werkstatt umher und betrachtete die Instrumente. Es war eine eigenartige Vorstellung, dass sie hier wirklich von Aborigines bemalt und dann vielleicht auch nach Deutschland oder in andere europäische Länder versandt wurden, um sie später in einem »Down Under Shop« kaufen zu können. Nora und Wudima kamen zu Niklas. Nora nahm ein besonders schönes Exemplar in die Hand und strich darüber. »Mir haben die hier auch immer ganz besonders gut gefallen, Nicky. Hast du zu Hause noch ab und zu gespielt? Du hattest damals so viel Spaß an meinem Didgeridoo.«
Niklas’ Miene war plötzlich wieder verschlossen. Er schüttelte leicht den Kopf. »Nee. Seit ihr weg seid, nicht mehr. Ich hatte auch keine Zeit dafür.«
Nora registrierte seinen abweisenden Blick und ließ ihn in Ruhe. Sie setzte sich zu einer jungen Frau, die an einem Bild malte, auf dem Fische und Vögel entstanden. Immer noch gefielen Nora die warmen Erdfarben besonders gut. Sie wusste, dass viele Aborigines schon auf Acrylfarben umgestiegen waren. Umso mehr schätzte sie es, dass die Künstler hier noch die traditionellen »alten« Farben bevorzugten, die aus rotem und gelbem Ocker, weißem Pfeifenton und schwarzer Holzkohle gewonnen wurden. Die Ureinwohner kannten auch weitere Möglichkeiten in der Herstellung von Farben, wenn die Erde ihnen die genannten Materialien nicht bot. Früher wurden manchmal auch Steine im Feuer geröstet, anschließend zerstampft und zu einem feinen Pulver gerieben, das mit den Farbextrakten aus diversen Pflanzen oder Baumwurzeln und mit Öl und Wasser vermischt eine einzigartig zarte Farbe ergab.
Niklas lehnte auch Wudimas Aufforderung, die Didgeridoos einmal auszuprobieren, mit einem verlegenen Kopfschütteln ab und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen nach draußen. Obwohl er sich noch ein wenig unbehaglich in dieser fremden Umgebung fühlte, war er froh, dass er weitgehend in Ruhe gelassen wurde und sich frei umschauen durfte.
In einiger Entfernung saßen zwei Jungen mit einem alten Mann im Schatten und spielten Didgeridoo. Sie grinsten breit, als er näher herankam, und der Alte winkte ihn zu sich und bedeutete ihm Platz zu nehmen. Niklas sah ihnen eine ganze Weile zu und fand die vibrierenden, warm klingenden Laute der Instrumente schön. Es hatte ihn schon damals in Hamburg fasziniert, wie viele unterschiedliche Variationen und Ausdrucksmöglichkeiten das Didgeridoo bot. Doch sowohl Nora als auch er selbst waren an der so genannten Zirkulationsatmung gescheitert, die ein Spielen ohne Unterbrechung zum Atemholen möglich macht. Interessiert beobachtete er, wie die Jungen den Instrumenten die eigenartigsten Töne entlockten, zum Beispiel den Kookaburra-Vogel imitierten, dann wieder weiterspielten und dabei die Wangen kreisrund aufbliesen, als hätten sie auf jeder Seite einen Tischtennisball im Mund. Es war, als würden sie mit dem Didgeridoo eine Geschichte über das Land erzählen.
Niklas hörte gespannt zu. Er bemerkte nicht, dass Marrindi ihn aufmerksam beobachtete. Der alte Schamane spürte, dass zwischen Nora und ihrem Sohn ein Problem bestand. Auch hatteTom ihm vor einiger Zeit offen gesagt, dass Nora darunter leide, ihren Sohn nicht mehr bei sich zu haben.
Marrindi schloss nach einer Weile die Augen und lehnte den Kopf
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