Wind Der Zeiten
mit gesenktem Kopf herbeigetrottet und stupste mich mit der Nase an.
»Tut mir leid, mein Alter, mehr als eine Mohrrübe kann ich
nicht erübrigen.« Wie auf Kommando knurrte mein Magen. »Wir werden unterwegs etwas für uns beide finden.«
Das Pferd konnte sich selbst versorgen.
Wie es mit mir weitergehen sollte, wenn ich in Cladaich statt des Gasthofs meiner Freundin nur die armseligen Bauernhäuser der Mackenzies vorfinden würde, darüber wollte ich gar nicht nachdenken.
Meine Flucht schien mir nach dieser Nacht überstürzt und gedankenlos. Ich hätte gleich zum Feenkreis reiten sollen, statt einer vagen Idee zu folgen. Vielleicht war es das, was diese Korri gemeint hatte. Aber dafür hätte ich nicht nur das Dorf durchqueren, sondern auch den gesamten See umrunden müssen. Und nun war ich schon so weit gekommen, da konnte ich auch genauso gut erst einmal bis zur Küste reiten.
Ich ließ mich von Brandubh weiter durch die Schlucht tragen und bereute recht bald, das Pferd über Nacht nicht vom Sattel befreit zu haben. Es dauerte nicht lange, bis die Feuchtigkeit des Leders durch meine Röcke gedrungen war, und von oben rauschten neue Regenschauer auf mich nieder. Das Umschlagtuch, das ich mir über den Kopf zog, war wunderbar dicht gewebt und hielt die dicken Tropfen eine Zeit lang ab, aber genau in dem Moment, als der Regen endlich weniger wurde und bald darauf ganz aufhörte, gab es seinen Widerstand auf, und der Geruch von nassem Schaf gesellte sich zu den Ausdünstungen meines dampfenden Pferdes.
Ein Gutes aber hatte das Wetter. Unsere Spuren wurden von den kleinen Sturzbächen, die an vielen Stellen über den Pfad in Richtung des Flusses sprudelten, fortgespült.
Endlich lichtete sich der Wald, und auf einmal lag eine hügelige Wiesenlandschaft vor mir, die sich bis zum Loch Cladaich erstreckte. Der Wind hatte die Wolkendecke aufgerissen,
und das Morgenlicht verwandelte die Szenerie in eine unwirkliche Traumwelt. Die Luft schmeckte salzig, nach Meerwasser und Tang. Am Horizont erkannte ich die kleinen Inseln draußen im Meer, die ich vom Fenster meines Hotelzimmers aus ebenfalls hatte sehen können. Und so ritt ich voll banger Hoffnung weiter. Doch mit jedem Meter, den wir vorankamen, wurde deutlicher, dass dies nicht die Welt sein konnte, aus der ich vor einigen Wochen zu meinem kurzen Ausflug in die Berge aufgebrochen war.
Weit verstreut schmiegten sich windschiefe Katen mit ihren Steinmauern in die Landschaft, ein paar Rinder grasten hier und da, aber je mehr ich mich Loch Cladaich näherte, desto klarer erkannte ich, was fehlte. Hier gab es keine Zäune, nicht einmal ein Pfad war mehr auszumachen, auf dem ich meinen Weg zurück in den Wald gefunden hätte. Und längst hätte ich auch auf die schmale Straße stoßen müssen, die sich von Norden her an der Küste entlanggeschlängelt hatte, als ich das letzte Mal in dieser Gegend unterwegs gewesen war.
Die letzte Hoffnung verlor ich beim Anblick eines Dorfs, bei dem es sich vermutlich um Cladaich handelte. Eine Reihe winziger, mit Stroh gedeckter Häuschen zog sich am Ufer entlang, ein kurzer Pier mit wenigen Ruderbooten, weiter draußen schaukelte ein altertümliches Segelschiff auf den Wellen, und über alldem thronte die schmucklose Burg aus grauem Stein, von deren halb verfallenem Turm aus die Mackenzies das Meer und die schmale Durchfahrt zum See oder Loch überwachten. Im einundzwanzigsten Jahrhundert würde das Gemäuer weit besser in Schuss sein als heute. Das wusste ich deshalb so genau, weil ich erst vor wenigen Wochen an einem sonnigen Tag die schmalen Stufen bis ganz nach oben gestiegen war und auf den kürzlich restaurierten
Zinnen sitzend über das Meer auf der einen und den von Hügeln eingerahmte Loch Cladaich auf der anderen Seite geblickt hatte, während über mir die blau-weiße Flagge Schottlands im Wind geknattert hatte.
»Und nun?«
Mein Pferd konnte mir keine Antwort geben. Stattdessen begann es gierig, das Gras zu rupfen, und ließ sich weder durch mein Zerren an den Zügeln noch durch gutes Zureden dazu bringen, den Kopf zu heben und weiterzugehen. »Wie du willst!« Ich ließ mich hinabgleiten, das Leder quietschte, und mein Hintern fühlte sich vom Ritt auf dem nassen Sattel schon wund an. Das Schultertuch breitete ich zum Trocknen über einen Stein aus, und während Brandubh am langen Zügel nach den leckersten Grasbüscheln suchte, kramte ich die Bannocks aus dem Beutel und hoffte, mir daran keinen Zahn auszubeißen.
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