Wind Der Zeiten
du versprichst mir, keinen weiteren Fluchtversuch zu unternehmen. Dann kannst du dich rund um Castle Grianach frei bewegen – vorausgesetzt, Mòrag ist dabei.«
»Okay.«
Er sah mich fragend an.
»Ich meine: einverstanden . Ich werde nicht versuchen, zu fliehen, wenn du mir sagst, was dort hinter den Bergen liegt.« Ich zeigte nach Westen.
»Das Meer.« Alan sah mich hoffnungsvoll an. »Weckt das irgendwelche Erinnerungen in dir?«
Eine Menge. Aber keine spielte in diesem Zusammenhang eine Rolle. Deshalb sagte ich zögernd: »Vielleicht würde es das, wenn ich es mit eigenen Augen sähe.«
»Wir werden sehen, wann ich Zeit habe, einen so langen Ritt mit dir zu unternehmen«, seufzte Alan und erhob sich.
Der Mann hatte eindeutig eine weiche Seite. Daraus müsste sich doch etwas machen lassen , dachte ich. Wieder allein, versuchte ich die Ereignisse der letzten Stunden zu rekapitulieren. An eine Verschwörung mochte ich schon aus Prinzip nicht glauben. Die Männer beim Feenkreis, die beiden Frauen, die ich in ihrem Salon belauscht hatte, Mòrag. Ihre Sprache und Kleidung, selbst ihre Art, sich zu bewegen – alles wirkte so selbstverständlich, als hätten sie nie etwas anderes getan.
Ich habe niemals bezweifelt, dass die Welt mehr Geheimnisse birgt, als wir Menschen lösen können, und Caitlynn hielt Magie für etwas sehr Reales. Mehr als einmal hat sie mich damit überrascht, wie genau sie manche Ereignisse voraussagen konnte. Sie glaubte fest an die Existenz von Erdgeistern und Feen und daran, in Iain ihren vorbestimmten Seelenpartner gefunden zu haben. In den vergangenen Wochen hatte ich den Eindruck gewonnen, dass sie damit Recht hatte. Dabei war sie bisher noch nicht einmal dazu gekommen, mir zu erzählen, wie und wo sie sich kennengelernt hatten.
Ich selbst war nach Schottland gereist, um Abstand zu meinem bisherigen Leben zu gewinnen und mir über einige Dinge klarzuwerden. Und wenn das Schicksal diesen Wunsch etwas zu wörtlich genommen hatte? Dann saß ich jetzt im achtzehnten Jahrhundert fest, und Alan war die einzige Verbindung zu meinem vorherigen Leben.
Eine sehr lose Verbindung. Nicht nur, weil wir uns erst vor kurzem begegnet waren und das nicht gerade unter für mich besonders günstigen Umständen. Er fühlte sich hier offenbar vollkommen zu Hause und schien überzeugt, mich am Feenkreis das erste Mal gesehen zu haben. Außerdem war er zu sexy für sein eigenes Wohl; für meines allemal.
»Er ist arrogant, selbstgefällig und ein totaler Macho«, erklärte ich der Türklinke von Angesicht zu Angesicht, bevor ich hinauflangte und das riesige Ding herunterdrückte, um mich aufzumachen, meine neue Welt zu erkunden.
4
Eine neue Welt
D as Haus bestand, wie ich schon von Anfang an vermutet hatte, aus zwei, und wenn man den Turm dazurechnete, sogar drei Teilen. Mein Zimmer – genaugenommen gehörte es natürlich dem Hausherrn, also Alan – befand sich in der oberen Etage des älteren Wohngebäudes. Unentschlossen schaute ich den Gang entlang. Nach rechts gelangte man in den neueren Trakt. Sehr wahrscheinlich war, dass Alan all seine vornehmen Gäste dort untergebracht hatte, und ich verspürte wenig Lust darauf, noch jemandem von ihnen über den Weg zu laufen. Die Aussicht auf eine weitere Begegnung schien mir, nach dem ersten Zusammentreffen mit den beiden Ladys, wenig verlockend.
Also nach links. Zuerst aber folgte ich Mòrags Beispiel, um Licht zu besorgen. Ich ging ins Zimmer zurück und entzündete eine Kerze am glimmenden Torf im Kamin. Ich erlaubte der Flamme, sich zu entwickeln, und wartete, bis Wachs an der Seite hinablief. Die nächsten Tropfen ließ ich in die Laterne fallen, klebte so die Kerze fest und stülpte das Glas darüber.
Anschließend schlich ich in Richtung des gewundenen
Treppenhauses im Turm. Nachdem die schwere Tür erstaunlich leicht aufgeschwungen war, spähte ich in den dunklen Aufgang. Der Abtritt war nichts Neues mehr, doch es lockte
mich zu erkunden, was weiter oben lag. Also hinauf. Ein wenig fühlte ich mich in meinen geliehenen Kleidern wie die neugierige Zofe aus einem dieser historischen Gesellschaftsromane, die ich gern las. Mit der hatte es allerdings kein gutes Ende genommen, vielleicht sollte ich mich auch besser in Acht nehmen. Obwohl – wenn ich mich richtig erinnerte, spielte die Geschichte während der Französischen Revolution und somit von hier aus gesehen in der Zukunft.
Der Gedanke eröffnete, einmal weitergedacht, ungeahnte
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