Wind Der Zeiten
der Stadt eine andere kennenlernt?«
Erleichtert, ihr Geheimnis nicht länger für sich behalten zu müssen, gestand sie: »Dort kann so viel passieren. Es gibt
Schlägereien und auch leichte Frauenzimmer. Ich weiß schon, dass Männer ihr Vergnügen überall suchen, aber was ist, wenn er sich dort die englische Krankheit holt?«
Ob sie damit die Syphilis meinte? Witzig, dass diese gefährliche Infektion immer nach den Besatzern benannt wurde. Oder, wenn ich genauer darüber nachdachte, war das eigentlich eher schrecklich und überhaupt nicht komisch. Natürlich hatte sie Recht – nirgendwo war die Gefahr größer, sich anzustecken, als in einer Stadt, in der Hunderte Männer nach tagelanger Wanderung ihre Geschäftsabschlüsse feierten. Wenn ich mich recht erinnerte, waren Kondome zu dieser Zeit nicht eben weit verbreitet. Welcher Mann wollte sich auch schon einen Schafsdarm überziehen?
Mòrag riss mich aus meinen unerfreulichen Gedanken. »Wir wollen irgendwann heiraten, aber Duncan hat sechs Geschwister, zwei davon sind ältere Brüder, und deshalb wird er kein Land erben, auf dem wir leben könnten. Sein Vater will, dass er eine entfernte Cousine heiratet. Sie ist die einzige Tochter und ihre Familie sehr angesehen.«
»Und was sagen deine Eltern dazu?«
»Die wissen nichts davon. Vater sagt, ich sei noch zu jung, um ans Heiraten zu denken. Aber mit Duncan wäre er sowieso nicht einverstanden. Vater war immerhin der Tutor des Gleanngrianach , ist heute sogar sein Verwalter und vertritt ihn häufig in wichtigen Angelegenheiten. Mutter hofft, dass sich irgendwann einer der Gentlemen, die manchmal im Castle zu Besuch sind, für mich interessiert. Aber ich will nur Duncan«, fügte sie trotzig hinzu.
Inzwischen waren wir ein gutes Stück vorangekommen und näherten uns dem Dorf, um das Alan gestern einen Bogen geschlagen hatte, um mich nicht den Blicken der Bewohner
auszusetzen. Jetzt war ich ihm doppelt dankbar dafür, ich hätte sonst nicht gewagt, den Leuten hier ins Gesicht zu sehen. Das Dorf lag oberhalb des Sees, an dessen Ufer ich ein paar kleine Boote entdeckte, die auf den Wellen schaukelten. Dreißig oder vierzig mit Stroh und Grassoden gedeckte Häuser aus grob behauenen Feldsteinen säumten die unbefestigten Wege. Die meisten ähnelten den Bauernkaten, die ich bereits über das Tal verteilt gesehen hatte. Sie besaßen winzige Fenster mit hölzernen Läden, und eine kleine Mauer umgab jedes von ihnen. Innerhalb dieser Umfriedungen war etwas Gemüse angebaut. Hier und da entdeckte ich auch ein paar Ziegen oder eine Kuh, die ebenso frei herumliefen wie die zahlreichen Hühner. Menschen sah ich kaum, die meisten arbeiteten bei diesem milden Wetter vermutlich auf ihren Feldern.
Ein halbes Dutzend der Häuser war etwas größer und mit Ziegeln gedeckt, vor einem standen mehrere Ponys und dösten gelangweilt. Mòrag zog mich schnell weiter. »Das sind Pferde von Lachlans Leuten. Sie sind wie immer in der Schmiede «, flüsterte sie, und als sich die Tür zum Pub öffnete, folgte ich ihr bereitwillig über einen kleinen Platz weiter die Straße hinab zum See. Die eine Begegnung mit Alans Bruder reichte mir vorerst; ich hatte keine Lust, auch noch seinen Spießgesellen über den Weg zu laufen.
Schließlich standen wir vor einem winzigen Cottage, und meine Begleiterin wollte gerade die Hand zum Klopfen erheben, als es von innen schon tönte: »Komm nur herein, Mòrag MacCoinnaich, Tochter des Verwalters. Und bring deine kleine Freundin gleich mit.«
Die Tür öffnete sich, und wir traten ein. Innen war es ganz dunkel, und der Rauch des Torffeuers reizte mich zum Husten.
Als sich meine tränenden Augen an die spärliche Beleuchtung
im Inneren der Hütte gewöhnt hatten, sah ich im schwachen Schein der Feuerstelle eine alte Frau auf einem breiten Lehnstuhl sitzen, der im ersten Augenblick aussah, als habe man ihm die Beine abgesägt, so niedrig war er. Wärmesuchend streckte sie ihre Hände den Flammen entgegen, Mòrag hockte sich vor sie auf einen ebenso kurzbeinigen Schemel und zog ein paar Haferküchlein hervor, die sie in ihrer Schürze verborgen hatte. »Kenna, meine Mutter schickt dir Suppe und etwas Milch«, sagte sie so laut und deutlich, wie man im Allgemeinen mit Schwerhörigen spricht. Dabei gab sie mir ein Zeichen, mich ebenfalls auf einen Schemel zu setzen. »Hier unten ist der Rauch nicht so schlimm«, flüsterte sie.
»Was sagst du, Mädchen?«, rief die Alte. Zittrig goss sie sich etwas
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