Wind Der Zeiten
vollbeladenen Tablett hereinkam. Das Frühstück im Bett war schon nach wenigen Tagen zu einer liebgewonnenen Routine geworden.
Es gab Tee, geröstetes Brot und natürlich eine Schale mit Haferbrei. Während ich frühstückte, brachte mir meine neue Freundin eine Kanne mit warmem Wasser herauf. Von ihr bedient zu werden, war mir peinlich. »Ich könnte doch auch in der Küche frühstücken«, schlug ich vor.
Sie schüttelte den Kopf. »Damen frühstücken doch nicht in der Küche.«
»Aber sie gehen zu Fuß ins Dorf?«, fragte ich scheinheilig.
»Lady Keriann hat das immer getan, sagt Mama.«
Langsam glaubte ich, dass Alans Mutter eine ganz besondere Frau gewesen sein musste, und sagte das auch.
»O ja, es ist ein Unglück für den alten Chieftain gewesen, dass sie so früh starb. Seine zweite Frau war ganz anders. Sie hat auch nicht in diesem Zimmer gewohnt, sondern ist gleich in die eleganten Räume des neuen Hauses eingezogen, das er doch eigentlich für Lady Keriann gebaut hatte. Die Arme hat es nie fertig gesehen.«
Wie traurig. »Wie viele Geschwister hat Alan denn?«, fragte ich neugierig.
»Der Gleanngrianach «, sagte sie mit Nachdruck, »hat vier Geschwister. Sein zweiter Bruder Callum ist in Edinburgh an der Universität.« Das musste der junge Mann gewesen sein, von dem die Campbell-Frauen gesprochen hatten. »Die Zwillingsschwestern haben beide gute Männer geheiratet und leben jetzt in der Nähe von Skianach Castle.«
Ich hatte keine Ahnung, wo das war, und Mòrag war sich auch nicht sicher. Es sei eine verwunschene Gegend, wusste sie nur zu berichten. Dann hastete sie wieder in die Küche, um einen kalten Imbiss für Lachlan zu richten, der Mary Campbell und ihre Cousine zu einem Ausritt mit anschließendem Picknick eingeladen hatte.
Es versprach ein langweiliger Tag zu werden, und ich fragte mich, wo Alan steckte. Wie ärgerlich. Mòrag hätte es vielleicht gewusst, aber sie war fort und würde erst am Nachmittag für die Anprobe eines neuen Kleids wiederkommen, das die Schneiderin geschickt hatte.
Hier in meinem Zimmer gab es nichts zu tun. Das Bett war bereits gemacht, und mit Mòrags Hilfe steckte ich wieder in dem unbequemen Mieder. Ohne ging es leider auch nicht, wenn ich nicht aussehen wollte wie eine Kugel. Der üppig gefältelte Rock war nicht eben vorteilhaft, und das Leinenhemd bei genauerem Hinsehen schon etwas fadenscheinig. Vergeblich schaute ich mich nach einem Buch um, dabei fiel mein Blick auf einen silbernen Kerzenleuchter, den ich gestern Abend bereits bewundert hatte. Doch da hatten noch fünf neue Kerzen darin gesteckt. Jetzt war die mittlere fast vollständig abgebrannt.
Rasch lief ich zu der Verbindungstür zu Alans Zimmer, doch sosehr ich auch nach einem geheimen Riegel suchte, das Ding ließ sich nicht öffnen. War er letzte Nacht etwa hier gewesen? Ich beschloss, ihn zur Rede zu stellen. Aber erst würde ich seine Bibliothek erkunden, schließlich hatte er mir erlaubt, mich innerhalb des Hauses frei zu bewegen. Hoffentlich gab es überhaupt Bücher – vor allem Bücher, die auch ich lesen konnte. In diesem Moment hörte ich unter meinem Fenster Hufgetrappel und sah Lachlan mit seinen Begleiterinnen davonreiten. Perfekt. Der Tag versprach warm zu werden, also verzichtete ich auf meine Strümpfe, die Slipper passten so auch besser, und abenteuerlustig machte ich mich auf eine neue Erkundungstour.
Dieses Mal wandte ich mich nach rechts in Richtung der schmalen Wendeltreppe, auf der die Mädchen gestern das Badewasser hinaufgeschleppt hatten. Das protzige Treppenhaus der Herrschaften zu benutzen, kam mir gar nicht in den Sinn. Glücklicherweise befanden sich in schmalen Nischen Öllämpchen und mit Hilfe des dicken Seils, das als Geländer diente, war ich im Nu im Erdgeschoss. Wenn ich mich
nicht irrte, so führte die Tür zu meiner Rechten in den neuen Trakt, in dem ich – sofern es so etwas hier überhaupt gab – die Bibliothek vermutete. Hinter mir erklangen Schritte, und weil ich keine Lust hatte, jemandem zu begegnen, riss ich blitzschnell die Tür auf und fiel zwei Schritte später über lang ausgestreckte haarige Männerbeine. Der dazugehörige junge Mann konnte mich gerade noch auffangen.
Wir beide waren so überrascht, dass wir in eine Art Schreckstarre verfielen. Beiläufig nahm ich meine Umgebung wahr. Wir befanden uns in einem schlichten Durchgangszimmer, das offensichtlich nur für den Aufenthalt des Personals gedacht war. Über uns hing eine Reihe
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