Wind Der Zeiten
liefe und ich mein Herz an ihn verlöre? Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich mir geschworen, für immer die Finger von den attraktiven, komplizierten Kerlen zu lassen. Doch das schien in einem anderen Leben gewesen zu sein.
Zum ersten Mal schmerzte die Erinnerung an meinen betrügerischen Verlobten nicht mehr. Stattdessen war ich sogar erleichtert, dass ich gerade noch im letzten Augenblick aus meinen Alptraum erwacht war. Er hatte nie mich, sondern immer nur das Geld und ganz besonders die damit verbundene Macht geliebt.
Fast hätte ich mein Vermögen auf sein Drängen hin schon vor der Ehe an ihn überschrieben. Wie blind man sein konnte. Zum Glück hatte ich Caitlynn kurz vor dem Notartermin davon erzählt, und sie was dermaßen entsetzt gewesen, dass ich schließlich den Termin aus fadenscheinigen Gründen verschoben hatte.
Mein Exfreund hatte getobt und … Schnell verdrängte ich die Erinnerung an seine Gewalttätigkeiten. Er hatte mir allen Ernstes vorgeworfen, geizig zu sein, dabei musste ich mir sogar manchmal Geld leihen, um die Rechnungen bezahlen zu können, die er ganz selbstverständlich immer auf mich ausstellen ließ. Ich sei ja schließlich vermögend , sagte er an guten Tagen mit einem charmanten Lächeln.
Dabei ist Vermögen ein großes Wort. Die Reederei meiner Familie gibt es zwar schon seit vielen Generationen, aber wer sich ein wenig auskannte, der wusste, dass es der Branche während der letzten Jahrzehnte nicht besonders gutgegangen ist. Da mein Erbe aus Firmenanteilen bestand und ich diese nicht verkaufte, fiel derzeit kein Gewinn ab. Was man als durchschnittlich begabte freie Journalistin in Hamburg verdienen konnte, wo es Konkurrenz wie Sand am Meer gab, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen.
Da war er schon wieder, der stechende Kopfschmerz, den ich bekam, sobald ich an mein Zuhause dachte.
Also schlug ich das Buch auf und fand darin die beste Ablenkung, die man sich vorstellen konnte. Bereits nach den ersten Seiten kicherte ich befreit, und die Enten beäugten mich misstrauisch.
Das Gleiche taten später auch die zurückkehrenden Ausflügler. Eine Magd, und dafür hielten sie mich mit Sicherheit schon wegen meiner Kleidung, die auf einem Mäuerchen am
Teich saß, lachte und las – das hatte man hier noch nicht gesehen.
Schließlich klappte ich das Buch zu. Dem Sonnenstand zufolge war es bereits Nachmittag, und mein Magen knurrte vernehmlich. Ich fand, dass ich seit meiner Ankunft einen ungewöhnlichen Appetit entwickelte. Andererseits hatte ich das Mittagessen ausfallen lassen, beruhigte ich mein schlechtes Gewissen.
Die schwere Eingangstür, durch die ich vorhin gekommen war, sah nicht so aus, als würde sie sich ohne weiteres für mich öffnen, und der Wachhabende war nirgendwo mehr zu sehen. Also umrundete ich den Burgturm mit der hölzernen Treppe, die wahrscheinlich in die alte Versammlungshalle führte. Schnell lief ich am Gebüsch vorbei, das die Grube unter dem Erker, in dem sich der Abtritt befand, verbarg. Dann ging ich durch das Tor über den Hof zum Wirtschafts- und Küchengebäude.
Kaum hatte mich die Köchin in der offenen Tür entdeckt, überschüttete sie mich mit einem Schwall gälischer Worte, von denen ich nur jedes Zehnte verstand. Anfangs wirkte sie ärgerlich, doch mit der Zeit wurde ihre Stimme freundlicher, und schließlich sagte sie langsamer – und klang dabei sehr besorgt »Mädchen, du musst doch etwas essen. Komm her und setz dich, ich habe ein schönes Stück kaltes Huhn für dich aufgehoben.« Dazu bekam ich gekochte Karotten und eine Schüssel mit Hafergrütze. Diese Haferpampe schmeckte mir nicht besonders, aber mit reichlich Salz und einem Schuss Sahne war sie zumindest genießbar. Die Mohrrüben waren zwar winzig, aber sehr schmackhaft, und als ich danach fragte, bestätigte mir die Köchin, dass sie frisch geerntet seien. Das Huhn schmeckte gut, und als sie mir zum Nachtisch auch
noch ein großes Stück Apfeltorte mit dicker Sahne vorsetzte, war ich anschließend regelrecht vollgefressen. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich mein Mieder bald sprengen. An einer großen Frau mochte ein Kilo mehr oder weniger nicht auffallen, bei mir machte es einen deutlichen Unterschied. Was würde die Schneiderin sagen, wenn ich nicht mehr ins eigens für mich gefertigte Mieder passte?
Offensichtlich zufrieden, dass sie mich erfolgreich gemästet hatte, räumte die Köchin die flachen Holzteller ab, als Mòrag ihren Kopf durch die Tür
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