Wind Der Zeiten
wieder ein, und ich drehte mich zu Alan
um: »Ich habe noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen, mein Lieber. Wenn du glaubst, dass mir der Zustand einer gewissen Kerze entgangen wäre, dann kann ich dir nur sagen: ist er nicht. Und ich verlange eine Erklärung.« Ich richtete mich zu meiner vollen Höhe auf, was mit flachen Schuhen und einer Körperhöhe von einem Meter und achtundfünfzig Zentimetern vermutlich nicht sehr bedrohlich wirkte. »Oh, hör schon auf zu lachen!«
Unfassbar . Der Kerl schlich sich nachts in mein Zimmer, um dort wer weiß was zu tun, und jetzt lachte er mich einfach aus. Wütend gab ich ihm einen Stoß vor die breite Brust.
Er schien das gar nicht zu bemerken, stattdessen griff er nach mir, und ehe ich mich versah, hatte er mich hochgehoben und auf einen Schemel gestellt. »So, jetzt können wir Auge in Auge streiten.«
»Du arroganter, eingebildeter …« Aus dem Augenwinkel sah ich einen augenscheinlich fassungslosen Angus vorsichtig den Rückzug antreten und hielt inne. Hatte ich in meiner Rage womöglich deutsch gesprochen?
»Die ungewöhnliche Sprachbegabung dieser jungen Dame bleibt besser unter uns«, sagte Alan über die Schulter gewandt.
O nein! Wie konnte ich mich so vergessen? Dieser unmögliche Mensch brachte meine idiotischsten Seiten zum Vorschein.
»Es gibt noch ein paar wichtige Angelegenheiten, die wir bereden müssen«, hielt Alan seinen Verwalter vom Verlassen des Raums zurück.
Diesen Moment der Unaufmerksamkeit nutzte ich, sprang vom Schemel und versuchte mich in einem möglichst hoheitsvollen Abgang. »Wir sehen uns.« Diese Worte klangen leider nicht, wie geplant, wie eine Drohung.
An der Tür hatte Alan mich eingeholt, um mir ein kleines Büchlein in die Hand zu drücken. »Bis später.« Ein unausgesprochenes Versprechen klang in seinen Worten mit.
Im Hinausgehen hörte ich Angus’ tiefe Stimme: »Hast du mir etwas zu sagen, mein Junge?« Der Verwalter war offenbar einer der wenigen, die sich nicht vor dem Gleanngrianach fürchteten.
Duncan auf seinem Wachposten vor der Tür jedenfalls machte immer noch den Eindruck, als habe er ein Gespenst gesehen, als ich ihn fragte, ob er wisse, wo Mòrag sei. Er wusste es nicht, versprach aber, ihr zu sagen, dass ich in den Garten gegangen war, sollte sie mich für die Anprobe suchen. Außerdem zeigte er mir den Weg durch die Halle zum vorderen Eingang, an dem ein weiterer Wachmann postiert war. Der Mann nickte mir knapp zu und lehnte sich danach wieder mit verschränkten Armen an die Hauswand. Vermutlich hatte er den langweiligsten Job im ganzen Haushalt. Wie häufig mochte hier schon überraschender Besuch auftauchen?
Von meinem Fenster aus hatte man einen guten Blick auf den barocken Garten gehabt, und so wusste ich von dem kleinen Teich in der Mitte, der aus meiner jetzigen Perspektive nicht sofort zu sehen war. Ich setzte mich auf die steinerne Einfriedung unter einem Baum und genoss die Stille, während ich einer sechsköpfigen Entenfamilie beim Gründeln zusah.
Dann erinnerte ich mich an das Buch in meiner Schürze, zog es heraus und las den Titel. Alan hatte mir eine Sammlung erotischer Kurzgeschichten in die Hand gedrückt. Was der Lump damit bezweckte, schien auf der Hand zu liegen. Was hatte mich nur dazu bewogen, ihn in meinem Bett schlafen zu lassen? Ich hätte wissen müssen, dass er diese mitleidige
Geste falsch verstehen würde. Und das, obwohl er in Kürze ein verheirateter Mann sein würde.
Das hat noch niemanden vom Fremdgehen abgehalten.
Mir war, als hätte ich Kennas Stimme gehört, aber als ich mich umsah, war niemand zu sehen.
Ich genoss die kurzen Begegnungen mit meinem launischen Gastgeber mehr, als gut für uns war, und mir war klar, dass es nicht beim Flirt bleiben würde, wenn ich den Dingen einfach ihren Lauf ließe. Wann immer wir uns begegneten, knisterte es zwischen uns, und deutlicher als mit diesem Büchlein hätte er mir seine Absichten kaum auf schickliche Weise signalisieren können.
Seine Ehe war arrangiert worden, und solange er keinen Ring am Finger hatte, konnte er tun und lassen, was er wollte … wahrscheinlich selbst nach der Hochzeit. Schließlich war er der Chief eines wohlhabenden Clans und damit ein Feudalherr, wie er im Buche stand. Umso liebenswerter fand ich es, dass er sich Zeit ließ und unseren Flirt zu genießen schien, ohne mich zu etwas zu drängen, was ich womöglich hinterher bereut hätte.
Was würde aus mir werden, wenn die Liebelei aus dem Ruder
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