Wind Der Zeiten
sah mich erwartungsvoll an.
Umständlich setzte ich mich auf meine Hände, wie ich es schon als Kind getan hatte, um meine Nervosität nicht durch fahrige Bewegungen zu verraten. Natürlich funktionierte es nie, auch heute nicht. Mit bangem Herz sah ich Mòrag an. »Ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen, aber du musst mir versprechen, sie für dich zu behalten und mit niemandem darüber zu reden – außer mit Duncan«, fügte ich nach einem kurzen Blick in ihr Gesicht hinzu. »Ich vertraue deinem Urteil. Wenn du sicher bist, dass er nichts verraten wird, dann erzähl es ihm ruhig.«
»Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist. Sollen mir die Haare und Zähne ausfallen, das Korn verdorren …«
»Schon gut«, unterbrach ich sie hastig und ergriff ihre Hand. »Du musst nicht dein Leben für ein Geheimnis aufs Spiel setzen.« Und dann erzählte ich von meiner wundersamen Reise. Auch dass sich Alan an nichts erinnerte und mich höchstwahrscheinlich für verrückt hielt.
»Und dennoch stehst du unter seinem Schutz.«
»Vermutlich, weil er wissen will, was am Steinkreis wirklich geschah.«
Zu meiner großen Überraschung schien Mòrag nicht besonders erstaunt über meine fantastische Story zu sein.
Eindringlich senkte ich die Stimme. »Das ist keine von diesen Geschichten, die man sich abends bei einem Cèilidh erzählt. Es ist die Wahrheit.«
»Ich bin froh, dass du mir die ganze Geschichte erzählt hast. Aber die Seherin hat es sowieso schon gewusst.«
»Du hast gelauscht.« Nun verstand ich auch, warum sie so sicher gewesen war, dass die alte Frau im Dorf bei unserem Besuch eine Vision gehabt hatte. Erleichtert darüber, dass sie mir glaubte, nahm ich ihr die Neugier nicht übel.
»Ja, nein … ein wenig. Aber es ist nicht das erste Mal, dass Kenna von den Steinkreisen am Sìdh Beag , am Feenhügel, gesprochen hat.«
Ich erinnerte mich wieder, dass ich auf der Suche nach dem magischen Kreis tatsächlich einen merkwürdigen Hügel bemerkt hatte. Er war etwa mannshoch, ungewöhnlich gleichmäßig geformt und schien auf den ersten Blick mit dichtem Gras bewachsen gewesen zu sein, das erst kurz zuvor sorgfältig gemäht worden war. Ich hatte mich noch gewundert, wer an dieser abgelegenen Stelle seinen gärtnerischen Ambitionen freie Hand gelassen haben mochte. Bei näherem Hinsehen wurde allerdings deutlich, dass es Moos war, dem der seltsam geformte Kegelfelsen sein gepflegtes Äußeres verdankte. Anderen, lange vor meiner Zeit, musste es ähnlich ergangen sein, und daraus hatte sich bestimmt die Legende entwickelt, dort oben hausten Feen. So logisch es auch klang, eine Erklärung für die Vorgänge im Steinkreis war es nicht.
»Was hat Kenna darüber erzählt?« Es konnte gewiss nicht schaden, wenn ich mir die alten Überlieferungen einmal anhörte, vielleicht fand sich ein wichtiger Hinweis darin, wie ich wieder in meine Welt zurückkehren konnte.
Mòrag lachte verlegen, aber sie wirkte erleichtert, dass ich ihre Neugier nicht weiter kommentierte. Mit dramatischer Stimme sprach sie weiter. »In ihrer Jugend war es noch üblich, dass man am Vorabend zu Là Fhèill Brìghde die Herdfeuer im ganzen Tal löschte.« Als sie mein ratloses Gesicht sah, erklärte sie: »Das ist der Tag der heiligen Brigid.«
Von dieser Heiligen hatte ich allerdings gehört. Die Kirche der Klosterschule, die ich besucht hatte, war nach ihr benannt worden. Es gab allerdings auch eine heidnische Göttin gleichen Namens, und die hatte, wenn ich mich recht erinnerte, etwas mit dem Element Feuer zu tun. Als ich Mòrag das sagte, blickte sie mich erschrocken an. »Wir sind gute Christen. «
»Ja, natürlich«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Wie geht die Geschichte denn weiter?«
»Welche? Ach so.« Sie blickte auf ihre Hände, und es dauerte eine Weile, bis sie weitersprach. »Am nächsten Morgen gingen die Frauen mit Bannocks und Milch zum Feenhügel, bekamen dort das Feuer im Tausch für ihre Gaben und brachten es zurück in die Häuser. Anschließend feierte man ein großes Fest.«
»Ist das alles?« Ich war enttäuscht.
»Sei doch nicht so ungeduldig.« Sie zog die Beine hoch und setzte sich im Schneidersitz auf mein Bett, offensichtlich hatte sie noch mehr zu erzählen. »In einem Jahr ging eine junge Frau mit. Sie kam nicht von hier, hatte im Sommer zuvor einen MacCoinnaich geheiratet und erwartete, obwohl sie noch
sehr jung war, schon ihr erstes Kind. Unterwegs bekam sie Hunger, und als sie ihre Gaben am Feenhügel
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