Wind Der Zeiten
Schicksal der Verwandten ihrer Vorgängerin interessiert. Alan dagegen konnte als kleines Kind sehr wohl erfahren haben, was seine Tante in ihren Briefen berichtete. Im Handumdrehen verflocht ich die weiteren Erzählungen mit Tatsachen aus meiner eigenen Vergangenheit.
Wenn du schwindeln musst, dann halte dich unbedingt so dicht wie möglich an die Wahrheit , hatte meine Freundin Caitlynn mir einmal geraten, und sie konnte stets wunderbare Ausreden erfinden, wenn es darum ging, die strengen Nonnen unseres irischen Mädcheninternats hinters Licht zu führen.
Ich fuhr fort: »Großvater hat mir sein Vermögen vererbt
und einen vertrauenswürdigen Mann als Vormund eingesetzt. « Mir war gerade noch eingefallen, dass Frauen gar nicht selbst über ihr Geld verfügen durften. Nachdem ich diese Klippe umschifft hatte, erzählte ich weiter. »Aber damit war mein Onkel natürlich nicht einverstanden. Er wollte mich stattdessen zwingen, seinen nichtsnutzigen Sohn zu heiraten. Andernfalls, so drohte er, wolle er beeiden, ich hätte Großvater verhext, um an sein Geld zu kommen. Deshalb bin ich aus Irland geflohen, und ich wusste niemanden, zu dem ich sonst hätte gehen können, als zu der einflussreichen Familie meiner Tante Keriann.« Geschafft. Die Zuhörer hingen wie gebannt an meinen Lippen. Man sollte die Vorliebe der Schotten für eine gute Geschichte niemals unterschätzen.
Doch Anabelle war längst nicht zufrieden und schien bereit, noch einige unangenehme Fragen zu stellen. Zu meinem Erstaunen legte aber Mary ihr die Hand auf den Arm. »Lass gut sein, Anabelle. Siehst du nicht, wie die Arme unter der Erinnerung leidet?«
Rasch schlug ich die Augen nieder, um meine Erleichterung nicht zu zeigen, und widmete mich dem Dessert, während sich die Herren politischen Themen zuwandten, von denen ich herzlich wenig verstand. Nur als Lachlan mutmaßte, George II. sei vermutlich ein Bastard, musste ich widersprechen.
Erst kürzlich hatte ich ein Buch über das traurige Schicksal seiner Mutter gelesen. »Sophie Charlotte ist nie fremdgegangen. Und ihren angeblichen Geliebten hat man ermordet, weil ihr Mann und ihre Schwiegermutter sie loswerden wollten. Das war alles Schwindel.«
Alle starrten mich erstaunt an, und sogar Alan hob fragend eine Augenbraue und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Das hätte ich besser nicht sagen sollen – intime Kenntnisse
des Hannover’schen Hofes waren hier vermutlich nicht opportun. Ich verwünschte mein vorlautes Mundwerk, und während ich die folgende Konversation den anderen überließ, spürte ich gelegentlich Alans Blick auf mir ruhen. Doch wann immer ich zu ihm hinübersah, starrte er griesgrämig in sein Glas oder leerte es gerade, um sich sofort großzügig nachzuschenken.
Er benahm sich wie ein flegelhafter Teenager, der gegen gesellschaftliche Regeln aufbegehrte, nur dass dieser Rebell das offizielle Familienoberhaupt war und die Gesetze in diesem Haus selbst bestimmen konnte. Wenn er versuchte, die Campbell-Frauen auf diese Weise loszuwerden, hatte er sich verrechnet.
Ein einziger Blick auf Anabelle verriet mir, dass zumindest sie aus härterem Holz geschnitzt war und sich von ein paar schlechten Tischsitten gewiss nicht in die Flucht schlagen lassen würde.
Plötzlich spitzten die Hunde die Ohren, und ein dunkles Wuff ließ die Gläser auf der Tafel klirren, als die Tür aufgerissen wurde und Duncan hereinstürmte.
Mit einem Blick erfasste er Alans Zustand und grinste unverschämt. Er beugte sich hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Alan stemmte sich aus seinem Sessel hoch, blieb einen Moment blinzelnd stehen und schwankte dabei leicht.
»Angus, James – wir haben zu tun.« Mit diesen Worten verschwand er, ohne uns anderen auch nur einen Blick zu gönnen, die Hunde blieben dicht an seiner Seite.
Angus folgte ruhig, drehte sich an der Tür noch einmal um und verbeugte sich: »Bitte entschuldigt den abrupten Aufbruch. Es scheint Schwierigkeiten zu geben«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Lachlan, würdest du dich um unsere Gäste kümmern?«
Damit waren auch er und, wie ich erst jetzt bemerkte, James verschwunden.
Lachlan konnte seinen Ärger kaum verbergen. Nicht nur schien es niemand für nötig zu halten, ihn über die Art der Störung zu informieren, er wurde darüber hinaus zum Gesellschafter der Frauen und eines einfachen Schullehrers degradiert. Seine beleidigte Miene zeigte deutlich, wie sehr er sich in der Ehre als Capitane und wichtiges Familienmitglied
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