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Wind Der Zeiten

Wind Der Zeiten

Titel: Wind Der Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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zu geraten. Doch hier war ich Gast, und vielleicht
besaß ich deshalb auf einmal mehr Mut, als ich je daheim bewiesen hatte. »Sie sind neu hier in Gleann Grianach?«, wandte ich mich an meinen Nachbarn zur Linken.
    Klirrend fiel seine Gabel aufs Porzellan. »Das stimmt, ich werde die Schule übernehmen.«
    Danach fragte ich ihn über seine Herkunft und Ausbildung und allerlei belanglose Dinge aus. Nach einer Weile taute er sichtlich auf, sprach lebhaft und wagte bald sogar ein zaghaftes Lächeln. Der Mann war intelligent und begeisterungsfähig. Seine Vorstellungen von Pädagogik fand ich allerdings haarsträubend und nahm mir vor, Alan demnächst ein paar deutliche Worte zum Thema Prügelstrafe zu sagen. Angus und James beteiligten sich bald an unserem Gespräch, und ich erfuhr mehr über den in der nächsten Woche geplanten Almauftrieb.
    Wie jedes Jahr würde man Rinder, Ziegen und Ponys auf die Hochwiesen bringen, damit sie sich während des kurzen Sommers dort oben eine ordentliche Fettschicht anfressen konnten, um die kalte Jahreszeit gut zu überstehen oder, im Falle der Rinder, auf einem der Herbstmärkte einen hohen Preis zu erzielen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass nicht irgendwelche diebischen Nachbarn sie zuvor klauten. Niemand schien diese Gefahr wirklich ernst zu nehmen, und allmählich gewann ich den Eindruck, dass das Stehlen von Vieh von den meisten Männern tatsächlich, wie Mòrag gesagt hatte, für einen grandiosen Spaß gehalten wurde.
    Ich nahm mir vor, meine Freundin zu überreden, mich mitzunehmen. Das versprochene Fest oben in den Bergen wollte ich auf keinen Fall verpassen.
    Anabelle hatte unserem Gespräch die ganze Zeit missmutig gelauscht; zum Dessert war es dann so weit: »Man hört, Ihr
seid auf dem Weg hierher überfallen worden?«, fragte sie und sah mich starr an.
    Ich nickte. Etwas unentschlossen, wie ich reagieren sollte, schob ich den Hahnenkamm auf dem Porzellan hin und her.
    »Schrecklich, wenn man nicht weiß, woher man stammt«, legte Anabelle nach.
    Ein Blick zu Alan zeigte mir, dass ich von dort keine Hilfe zu erwarten hatte. Er stürzte ein weiteres Glas Whisky herunter und schenkte sich mit einer Hand nach, während er mit der anderen seinen Teller auf den Boden fegte, wo sich die Hunde sofort geräuschvoll darüber hermachten.
    Nun gut, diese Herausforderung konnte ich auch allein annehmen. Ich trank also einen kleinen Schluck von dem sehr guten Wein, holte tief Luft und näselte in meinem besten Upper-Class-Englisch: »Oh, tatsächlich? Ich hatte ja keine Ahnung, dass Ihr ein solch schweres Schicksal erleiden musstet. Ich erinnere mich an einen Fall in meiner Familie …«
    Neben mir gab Angus einen röchelnden Laut von sich, und Anabelle gefror das höfliche Lächeln auf dem Gesicht, bevor sie sagte: »Ihr erinnert Euch wieder? Wunderbar. Ich brenne darauf, alles über Eure Familie zu hören. Stimmt es, dass Ihr mit Lady Marys zukünftigem Ehemann entfernt verwandt seid?«
    Das Biest ließ nicht locker.
    »Entfernt würde ich nicht sagen«, entgegnete ich mit einem maliziösen Lächeln. Dank der Tagebuchlektüre wusste ich inzwischen einiges über meine Familie. »Unsere Mütter waren Schwestern, nicht wahr?«
    Unter meinem eindringlichen Starren rappelte sich Alan hoch und warf mir einen trüben Blick zu. »Genau«, grunzte er. »Sie ist die Tochter von Tante …«

    »Cailín. Cailín Edgeworth hieß meine Mutter«, ergänzte ich geschwind. »Mein Vater war der Erbe des Earl of Edgeworth von Lustleigh House.«
    Nun sah auch Lachlan interessiert zu mir herüber. Augenscheinlich war ihm der Name nicht unbekannt, ich dagegen hatte keine Ahnung, wer dieser Earl gewesen sein mochte. Stattdessen dachte ich an die ungeheure Verachtung, mit der Lachlan mich am ersten Tag nach meiner Ankunft behandelt hatte. Dir werde ich es zeigen.
    Und dann erzählte ich vom traurigen Schicksal meiner Mutter, die nach dem frühen Tod ihres Mannes – er war direkt nach der Geburt seiner Tochter gestorben, das wusste ich aus den Tagebüchern – von dessen englischer Familie mit einer winzigen Abfindung fortgeschickt worden war. Von hier an musste ich improvisieren und erfand die herzzerreißende Geschichte einer rasch dahinschwindenden Mutter und einer strengen Erziehung durch den Großvater.
    Obwohl er keine Miene verzog, kam es mir vor, als hörte Alan genau zu, während Lachlan allmählich den Eindruck machte, als glaube er mir. Vermutlich hatte sich seine Mutter nicht für das

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