Wind Der Zeiten
ich ihm später davon erzählen. Jetzt aber brauchte ich selbst Papier und Feder.
Ach du meine Güte – Feder? Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, wie ich mit solch einem Schreibgerät übers Papier kratzte. Und mussten die Dinger nicht auch regelmäßig angespitzt werden? Das Leben im achtzehnten Jahrhundert war so anders als alles, was ich bisher kennengelernt hatte – und genau aus diesem Grund wollte ich ab sofort selbst Tagebuch schreiben. Ich nahm mir vor, es ebenfalls in dem Versteck aufzubewahren. So hatte ich zumindest die Hoffnung, dass meine Aufzeichnungen für die Nachwelt erhalten blieben, stieße mir etwas zu, bevor ich den Weg zurück in meine Zeit gefunden hätte. Und ein früher Tod war in einer so gewalttätigen Epoche, in der die Menschen zudem an Krankheiten wie der Grippe oder an einer Blutvergiftung starben, keineswegs auszuschließen.
Bedrückt von solch dunklen Gedanken ging ich hinunter, um in der Bibliothek nachzusehen, ob mir jemand Schreibzeug besorgen konnte.
Hatte ein Hausherr nicht tägliche Besprechungen mit seinem Verwalter? Ich rollte mit den Augen, als mir klarwurde, dass mein spärliches Wissen über diese Zeit doch erheblich von der Lektüre einschlägiger Historienromane geprägt war. Es wurde wirklich Zeit, genauer zu beobachten. Das könnte eines Tages überlebenswichtig sein. Sollte ich jedoch den Weg zurück in mein altes Leben finden, so wäre es eine großartige Quelle für die Forschung. Na ja, wahrscheinlich wird mir niemand glauben . Aber ich könnte Bücher schreiben – authentische Romane, die auch die Schattenseiten eines Lebens, wie ich es jetzt führte, nicht verschwiegen.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto aufgeregter wurde ich. Welch eine Chance, das Leben der Menschen in der Vergangenheit an Ort und Stelle studieren zu können. Voller Elan stürmte ich in die Bibliothek und stieß beinahe mit Lachlan zusammen.
Ärgerlich schaute er mich an: »Was suchst du hier?«
»Alan«, lag es mir auf der Zunge, aber das wäre nicht besonders klug gewesen. Auch wenn Lachlan unterstellte, dass wir eine Affäre hatten, musste ich ihm nicht auch noch den Beweis dafür liefern. Deshalb riss ich mich zusammen und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Alan hat mir gesagt, ich könne hier jederzeit ein Buch leihen. Allerdings bin ich jetzt auf der Suche nach Papier und Feder.«
»Du kannst schreiben?« Er sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an, als zweifelte er daran.
Arroganter Kerl. »Du etwa nicht?«
Doch er hatte keine unberechtigte Frage gestellt. Von Mòrag wusste ich, dass sie zu den gebildeten Frauen zählte, weil sie ihren Namen zu schreiben wusste. Eine Einkaufsliste hätte sie aber niemals erstellen können. Anders die Köchin,
die sogar in der Lage war, ihre Rezepte zu notieren, was ihr den Respekt des gesamten Personals einbrachte.
»Hast du dich also doch entschlossen, deine Familie über deinen Aufenthaltsort zu informieren?«
Daran hatte ich gar nicht gedacht. »Ich würde ihnen gern schreiben«, mogelte ich mich heraus. Das war zumindest nicht gelogen, er konnte ja nicht ahnen, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass meine Verwandten je ein Schriftstück in die Hände bekämen, das ich hier verfasste.
»Es ist vielleicht ganz gut, dass wir uns hier treffen.« Lachlan ging zum Schreibtisch hinüber und bot mir mit einer Geste einen Platz an.
Neugierig darauf, was er im Schilde führte, ließ ich mich auf den gepolsterten Stuhl sinken.
Er setzte sich ebenfalls. Sein heutiges Gewand aus Kilt und Leinenhemd gefiel mir eindeutig besser als die elegante Kleidung, die er gestern Abend getragen hatte. Er wirkte entspannt, und zum ersten Mal hatte ich Gelegenheit, ihn genauer zu betrachten. Ich schätzte ihn ungefähr auf mein Alter. Sein Gesicht war länglich, mit einem kräftigen Kinn, wie ich es schon bei vielen Schotten gesehen hatte. Das Blau der Augen erinnerte in seiner Leuchtkraft an das Gefieder des Eisvogels, der neulich direkt vor meiner Nase seinen Sturzflug in einen Bach gewagt hatte. Und die hohen Wangenknochen gaben ihm einen Hauch dieses fremdartigen Aussehens jener Menschen, die weiter im Norden, in Island oder Norwegen, jedenfalls jenseits des Polarkreises ihre Heimat hatten. Im Grunde besaß er eine größere Ähnlichkeit mit einem nordischen Feenwesen als sein schwarzhaariger Bruder, dem man eben diese Verwandtschaft nachsagte.
Meine Musterung schien ihn nervös zu machen, seine Ohren
nahmen eine rötliche
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