Wind Der Zeiten
zwar, dass Cladaich wahnsinnig hohe Forderungen gestellt hat, als Gegenleistung dafür, dass er seine rachsüchtigen Leute zurückhält, aber der Chief hat bei der Besprechung nicht einmal mit der Wimper gezuckt, sagt Duncan.«
»Ich habe keine Ahnung, was los ist. Ich bin ihm beim Hinausgehen in die Arme gelaufen und das einzig Teuflische an ihm waren allenfalls seine Küsse.« Die Erinnerung daran, wie er versucht hatte, mich zu verführen, ließ erneut Hitze in mir aufsteigen.
Mòrag lächelte wissend. »Das kann ihn doch kaum verärgert haben.«
»Ich hatte nicht den Eindruck. Allerdings bin ich fortgelaufen, weil ich so dringend – nun, du weißt schon. Er wird das doch nicht falsch verstanden haben?«
» Nay , sicher nicht. Männer sind manchmal einfach seltsam«, beruhigte sie mich.
Doch ich blieb verunsichert. Gern hätte ich Alan gefragt, was ihn so wütend gemacht hatte, aber er war nirgendwo zu entdecken.
Die Campbell-Frauen hatten sich zurückgezogen, und inzwischen war manch einer der Gäste volltrunken von seiner Bank gerutscht oder wurde von Kameraden hinauf in den Turm geschleppt, um dort, wie wahrscheinlich schon in der Nacht zuvor, seinen Rausch auszuschlafen. Mit einem Krug Wasser kehrte ich aufs Zimmer zurück und schrieb weiter in mein Tagebuch. Insgeheim hoffte ich, Alan würde zu mir kommen, aber in dieser Nacht blieb er fort. Wahrscheinlich war das besser so, tröstete ich mich. Der nächste Tag würde anstrengend genug werden, denn die MacCoinnaichs würden früh aufstehen, um ihr Vieh auf die Hochweiden zu treiben, und ich wollte unbedingt dabei sein.
9
In den Highlands
F rühmorgens klopfte es an meiner Tür. Schnell stieg ich aus dem Bett und schloss Mòrag auf, die Brot und Käse brachte. Draußen war es noch dunkel, als ich mir den Schlaf aus den Augen wusch. Gründlich rieb ich meine Zähne mit einem Leinentuch und salziger Kreidepaste sauber und spülte anschließend den Mund mit einer erfrischenden Kräutertinktur aus. Das dauerte zwar länger als normales Zähneputzen, aber wenn ich mit der Zunge über meine Zähne fuhr, fühlten sie sich glatt und sauber an. Dennoch konnte ich wahrscheinlich froh sein, dass sie von Natur aus recht widerstandsfähig waren. In Gleann Grianach war der Schmied im Nebenberuf auch Zahnarzt.
Gemeinsam mit weiteren Bewohnern gingen wir wenig später ins Tal. Duncan und die meisten Männer seien schon dort, erfuhr ich. Jede der Frauen trug ein Bündel, vermutlich mit Proviant gefüllt, auf der Schulter, und Mòrag half mir dabei, meines sicher zu befestigen. Als wir im Dorf ankamen, ging gerade die Sonne auf, und ich traute meinen Augen nicht. Unzählige Schafe trippelten dicht aneinandergedrängt durch das taufeuchte Gras. Sie sahen aus, als habe man ihnen dunkle Strümpfe über die Beinchen gezogen. Manchmal kamen sich zwei in die Quere. Dann blökten die Tiere aufgeregt, während sie ihre gebogenen Hörner dazu benutzten, den aufdringlichen
Nachbarn zu vertreiben. Über hundert Rinder und dazu noch Ziegen und Ponys waren am Dorfausgang zusammengetrieben worden. Schon die kleinsten Kinder, barfuß und nur mit einem Hemd bekleidet, versuchten mit langen Stöcken besonders vorwitziges Vieh davon abzuhalten, Grasbüschel von einem Hausdach zu fressen oder über die recht niedrigen Steinmauern zu steigen, um das frische Grün von den winzigen Beeten zu rupfen. Ihr Schreien und Lachen vermischte sich mit dem Bellen der Hütehunde und den Rufen und Pfiffen der Männer, die versuchten, Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen.
Während Mòrag fröhlich andere Frauen begrüßte, die verstohlen zu mir herüberblickten, machte sich der Zug allmählich auf den Weg. Verlegen lächelnd folgte ich und sah mich dabei immer wieder um, damit ich nichts von alldem verpasste.
Zusammengehalten von drei Hunden, die aussahen wie Wischmopps auf Speed, führten Schafe und Ziegen unsere Prozession an. Den indignierten Blicken zufolge, die diese Tiere ihren aufgeregten Wächtern zuwarfen, missgönnten sie den Hunden ihren wolligen Mantel. Verständlich, denn der Morgen war kühl, und Nebel lag über dem Tal. Ihnen hinterher trotteten gemessenen Schritts die Rinder, deren Rippen ich trotz des zottigen Fells deutlich sehen konnte. Umso beeindruckender wirkten ihre mächtigen Hörner, denen man besser aus dem Weg ging. Auch den Ponys war anzusehen, dass ein entbehrungsreicher Winter hinter ihnen lag. Die meisten waren trotzdem schwer mit Zweigen und anderen Materialien
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