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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Tetaniker gingen in die Brücke zum Sterben, das hier war das Gegenteil. Eddie war kein Arzt, aber der Begriff »Koma« drängte sich ihm geradezu auf. Er versuchte Tina zu trinken zu geben, indem er sein T-Shirt mit dem Rest Vittel tränkte, der noch in der Plastikbuddel umherschwappte, sie schien zu schlucken, also doch kein Koma. Eddie zog das T-Shirt wieder an und ärgerte sich wegen des nassen und schnell kälter werdenden Flecks auf seinem Solarplexus, daß er nicht das dreckige T-Shirt aus dem Rucksack hervorgekramt hatte. Dann fühlte er sich für diesen Ärger schuldig. Dann stürzte die Traurigkeit auf ihn nieder wie ein Fels, weil er an diesen Gedanken bemerkte, daß er keine Hoffnung mehr hatte, Tina noch durchzubringen. Dann dachte er voller Haß: Was ist schon eine Frau? Dann versuchte er sich zu beruhigen. Dann schloß er kurz die Augen. Dann öffnete er sie wieder. Die Energieanzeige spielte im gelben Bereich, am Horizont ging eine rote Sonne auf. 8:32 Uhr MEZ. Eddie setzte aus der Parklücke zurück und verflüssigte dadurch das Blei in seinen Beinen.
     
    Mit Erstaunen stellte er fest, daß Cozmic und das Strahlungenbolo sein letzter Rettungsanker geworden waren, obwohl man ihn dort wahrscheinlich zuletzt haben und zuerst suchen würde. Auf welche Daten hatte Brauner II Zugriff? Schwesterfirmen der Impact waren auch im Telekombereich aktiv, hatten Spezialisten dieser Schwesterfirmen ein Ohr in den Datenströmen der Polizei? War das Ohr fein genug, um eine Routinekontrolle auf der A7 herauszufiltern? Nur eins war sicher; in seinem Lebenslauf zur Bewerbung bei der Impact hatte er die »Strahlungen« nicht erwähnt, das wäre keine gute Idee gewesen. Eddie hatte nach dem geschlossenen Haus eine Zeitlang in Frankfurt verbracht, bei Cozmic und seinem verworrenen Haufen, bis ihm das technomystische Geschwätz zu den Ohren herausgekommen war. Ganz einmal abgesehen von Cozmics Neigung, das Bolo als seinen Privatbesitz zu betrachten, und seiner Art, weich zu reden und bei Bedarf beinhart zu handeln. Da hatte es ja einmal sogar eine Faust in Eddies Gesicht gegeben, weil er den großen Meister nachgeäfft hatte. So sah sein doppelter Boden jetzt aus, sein vorletztes Sicherheitsnetz, es war nicht einmal klar, ob er überhaupt aufgenommen werden würde, es war eher unwahrscheinlich. Ein Rettungsanker, der an seinem Hals hing. Als Eddie auf den Hof der ehemaligen Pestalozzischule rumpelte, war ihm seltsam leicht zumut. Auf dem Hof lagen Haufen von zersplittertem Holz und von Eisenschrott herum, der Mist war zu ansehnlichen Hügeln aufgetürmt, und Eddie parkte das Rad zwischen zweien davon. Kaum daß er dort stand, war er von mehreren Strahlungen umzingelt. Nicht daß sie direkt gewalttätig aussahen, aber man merkte den Leuten eine gewisse Achtsamkeit an. Er versuchte, ruhig zu bleiben. Er mußte nur warten, bis Cozmic in seiner Videozentrale aufgemerkt hatte und heruntergekommen war, und wirklich, drei Minuten später kam quer über den ehemaligen Pausenhof der Schule: der Meister selbst. Peter Burg, genannt Cozmic, der Häuptling des Strahlungenbolos, der legendäre Keyboardsurfer von vor zehn Jahren, der Mann, der die EFF gehackt hatte und dem es nicht hatte nachgewiesen werden können, der letzte Cyberpunk, der swingende König mit dem leicht hessischen Akzent. Und Eddie, todmüde wie er war, brachte immer noch genug Energie auf, um Cozmic zu hassen, erstens noch für die Faust in seinem Gesicht von damals, zweitens weil Cozmic für ihn die Quintessenz des halbgaren deutschen Modernismus darstellte, dieser Kreuzung aus Biergartengemütlichkeit und technoidem Brutalismus. Da stand er, der King, auch so ein Technoschamane und Äbbelwoitrinker. Eddie öffnete die Flügeltüren des Rads und wartete auf den ersten dummen Spruch. Der kam nicht. Cozmic sah älter aus als in Eddies Erinnerung, das hätte ihn nicht überraschen müssen, immerhin waren fünf Jahre vergangen. Cozmics Gesicht war anders. Er schien sich verändert zu haben. Jedenfalls sagte er jetzt nichts weiter als:
    »Hallo Eddie.«
    »Hallo«, sagte Eddie und krauchte mühsam aus der Kabine heraus. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten und mußte sich am Rad abstützen.
    Cozmic zog an seiner Zigarette.
    »Wasn los mit euch?«
    »Unterwegs gewesen. Brauchn Bett.«
    »Is das hiern Hotel oder was.«
    »Arsch lecken. Brauchn Bett.«
    Cozmic zog noch einmal an seiner Zigarette, dann nickte er zwei seiner Leute zu und winkte mit der Hand zum Haus hin,

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